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Die Letzte Spur

Die Letzte Spur

Titel: Die Letzte Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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drunter und drüber. Was möchten Sie wissen? Sie sagten, Sie wollten ein bisschen besser vorbereitet sein?«
    »Äh … ja …« Sie räumte rasch ihre Unterlagen zu dem anderen Fall beiseite, kramte einen Notizblock hervor, auf dem sie sich einige Punkte notiert hatte. »Es gibt da das eine oder andere Problem …«
    Die Kellnerin trat heran. Nachdem sie jeder einen Cappuccino bestellt hatten, sagte Rosanna: »Eine Frage hat sich für mich nicht geklärt. Sie waren an jenem Januarabend in Heathrow, um nach Berlin zu fliegen. Was, wie bei allen anderen, nicht klappte. Am nächsten Morgen begleiteten Sie Elaine in aller Frühe zur U-Bahn-Station Sloane Square. Warum fuhren Sie nicht auch zum Flughafen? Und versuchten erneut, einen Flug zu bekommen?«
    »Weil sich für mich die Sache erledigt hatte. Es ging um ein Abendessen in Berlin. Mit einem polnischen Mandanten, an dem die Kanzlei, in der ich bald darauf assoziiert sein sollte, interessiert war. Nachdem alle Flüge abgesagt waren, rief ich unsere Kontaktperson an und fragte, ob sich die Begegnung auf den nächsten Tag verschieben ließe. Das war jedoch nicht möglich, unser potenzieller Mandant musste an jenem Samstagmorgen bereits nach Polen zurück. Wir vereinbarten einen erneuten Versuch ein paar Wochen später. Dazu kam es allerdings nicht mehr, jedenfalls nicht mit meiner Beteiligung. Denn da hatte mich die Presse bereits in der Luft zerrissen, und vonseiten der Kanzlei hatte man mir signalisiert, dass man an einer Zusammenarbeit nicht länger interessiert sei. Ich war draußen.« Er zuckte mit den Schultern. Sein Gesichtsausdruck verriet nichts darüber, was in ihm vorging.
    Rosanna, die spürte, dass er Sachlichkeit wünschte und keinesfalls eine bedauernde Bemerkung, nickte und kritzelte zwei oder drei Stichworte aufs Papier. Ein Lebensschicksal, dachte sie, ein Lebensschicksal, innerhalb weniger Augenblicke völlig auf den Kopf gestellt.
    »Sie sahen Elaine zuletzt am Eingang zur U-Bahn?«, fuhr sie fort.
    »Nein«, sagte Reeve, »ich sah sie hinter dem Fenster der abfahrenden Bahn. Ich brachte sie bis hinunter, half ihr, das Ticket zu lösen, und achtete darauf, dass sie in den richtigen Zug stieg. Sie war ja zum ersten Mal in London und zudem noch immer ziemlich aufgelöst. Ich dachte, sie landet Gott-weiß-wo, wenn ich nicht aufpasse.«
    »Noch immer aufgelöst?«
    »Sie weinte nicht mehr. Aber sie war zweifellos sehr durcheinander. Es ging gar nicht so sehr um diesen Flug, um diese Reise nach Gibraltar. Es ging um ihr ganzes Leben. Ja, ich glaube, so hatte sie es selbst formuliert, nachts, als wir noch miteinander sprachen. Es geht um mein ganzes Leben , sagte sie irgendwann, ich habe das Gefühl, jetzt geht es um alles . So ungefähr lauteten ihre Worte.«
    »Haben Sie eine Vorstellung, was genau sie damit meinte?«
    Die Kellnerin brachte die beiden Cappuccino und stellte einen Teller mit bröselig wirkendem Gebäck dazu. Reeve griff sich einen der Kekse, aß ihn aber nicht, sondern drehte ihn zwischen seinen Fingern.
    »Ich hatte durchaus eine Vorstellung. Und ich könnte mich heute ohrfeigen, dass bei mir nicht rechtzeitig die Alarmglocken ansprangen. Im Grunde hat sie mir ziemlich deutlich signalisiert, dass sie ausbrechen möchte. Dass sie mit dem Leben so, wie sie es führt, nicht mehr zurechtkommt. Dass sie weg will, in erster Linie von ihrem Bruder, aber auch von dem Dorf, von ihrem Job… von einfach allem. Wenn ich ein bisschen intensiver nachgedacht hätte, wäre mir vielleicht bewusst geworden, dass sie die Gelegenheit nutzen und untertauchen würde – und dass ich, als der Letzte, der mit ihr zusammen war, in irgendeiner Form da mit hineingezogen werden könnte. Aber so genau dachte ich eben nicht nach. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass sie mich gar nicht genug interessierte, als dass ich mich noch viel mit ihr beschäftigt hätte. Ich hatte meine gute Tat vollbracht. Hatte ihr ein Zimmer für die Nacht gegeben, mir stundenlang ihre Klagen angehört und sie am Ende in die richtige U-Bahn gesetzt. Das war's für mich. Ich ging nach Hause, setzte mich an meinen Schreibtisch und fing an zu arbeiten.«
    »Was hätten Sie auch tun sollen?«
    »Ja. Was hätte ich tun sollen? Im Nachhinein habe ich mich das oft gefragt. Mit nach Heathrow fahren, mich vergewissern, dass sie ins Flugzeug steigt? Dann wäre nachweisbar gewesen, dass sie mein Haus lebend verlassen hat. Darauf bestehen, dass sie ihren Bruder anruft, ihm erklärt, dass es ihr

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