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Die letzte Visite

Die letzte Visite

Titel: Die letzte Visite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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ist, um eine zu rauchen. Bis zum Morgen hat sich der Qualm
mühelos verzogen, und am Tag mimt er wieder den notorischen Nichtraucher.«
    »Ich habe dasselbe zu Inge gesagt, Herr
Oberarzt«, erwiderte ich, »sie meinte, die Patienten blieben auf ihren Fluren,
hätten auf jedem Flur eine Toilette. Sie brauchten nicht auf den Treppen
herumzuschleichen.«
    »Natürlich, klar. Aber wer weiß denn,
ob nicht eener den anderen mal besuchen wollte, ein Stockwerk höher. Die haben
die tollsten Einfälle vor Langeweile.«
    »Ich kenne Ihre Patienten nicht und
nicht ihre Gewohnheiten«, sagte Nogees leise und höflich. »Zumindest aber
scheint mir der Umstand, daß ein Patient den anderen gegen Mitternacht besuchen
will, fast unwahrscheinlicher als die Annahme, es könnte jemand im Park gewesen
sein und wollte unbemerkt ins Haus zurückgelangen.«
    Bierstein sah ihn an und fragte
geradeheraus.
    »Sie meinen, Schwester Anna ist
umgebracht worden?«
    »Wir müssen mit dieser Möglichkeit
rechnen«, sagte der Kommissar.
     
     
    Ich lehnte neben Petra auf dem
Fensterbrett. Wir sahen hinaus in den Park. Wir waren fertig mit der
Nachmittagsarbeit. Sie hatte die Rollos hochgelassen und alle Fenster
aufgerissen. »Da, sehen Sie«, sagte ich.
    Oben auf der Turmkrone erschien die
Gestalt des Kommissars Nogees. Er bewegte sich kaum.
    Ein zweiter Mann trat zu ihm.
    »Zwei Stunden krabbeln die Brüder schon
im Park herum. Möchte wissen, was er sucht.«
    »Den Mörder wahrscheinlich.«
    »Mörder! Und wenn es keinen gibt? Es
wird schon noch darauf hinauskommen, daß ich es gewesen bin.«
    Petra lachte herzhaft. Ihr Haar roch
gut.
    »Sie und Mörder! Zum Totlachen!«
    »Woher wissen Sie das so genau? Ahnen
Sie, welche Gelüste in meinem Busen schlummern? Soll ich meine Klauen
probeweise um Ihre Luftröhre legen?«
    »Ich glaube, ich würde höchstens vor
Lachen sterben«, erklärte Petra.
    »Es ist keine Achtung mehr da vor dem
Alter in der jungen Generation«, sagte ich mit Tadel im Ton. »Was wissen Sie,
was sich so ein Polizeimensch ausdenkt? Meine ganze Geschichte kann erlogen
sein. Ich bin zum Turm geschlichen, habe der Pumpe den Garaus gemacht und dann
oben an der Luke gewartet. Anna kam und plumps! ... unten war der Felsen. Dann
bin ich seelenruhig zurückmarschiert, habe ‘ne Weile gewartet, habe dann bei
Inge so getan, als wollte ich nach Anna sehen. Ich fand die Tote und eilte von
Entsetzen geschüttelt zurück. Der Kommissar sah verschiedentlich so aus, als
hielte er diese Geschichte für die beste.«
    »Ich halte sie für billige Kolportage«,
sagte das Mädchen. »Sie sind drei Tage hier. Warum in aller Welt sollten Sie
die Oberschwester ermorden?«
    »Ich habe das Morphium gestohlen. Sie
hat mich gesehen und drohte mich zu überführen und zu vernichten. Es blieb
nichts übrig, als sie aus dem Wege zu räumen.«
    »Ein Morphinist hat für den Anfang
immer ein bißchen was mit von seinem Treibstoff. Außerdem sehen Sie nicht wie
einer aus.«
    »Wie sehe ich denn aus?«
    »Eher wie ein Berufstrinker.«
    »Sauber!« rief ich. »Sauber! Soweit hat
es die Gewerkschaft gebracht, daß die niedersten Besoldungsgruppen keinen
Respekt mehr vor den höheren haben. Sofort schreibe ich eine Protestnote an die
Gesundheitsministerin für Berufstrinker! Seit meiner Geburt habe ich nicht
einen Tropfen...«
    »Wollen Sie einen Wodka?«
    Dieses Kind wurde mir immer vertrauter.
    »Haben Sie einen!«
    »Hm.«
    Sie lief hinüber zum Labor, das an
unseren Laden grenzte.
    Durch die geöffneten Türen hörte ich
den Kühlschrank knallen.
    Petra erschien mit einer mir vertraut
geformten Flasche. Sie klappte die rechte Seite des Schreibtisches auf. Im
untersten Fach lagen passende Gläser zwischen Tassen, Nescafé und Löffeln.
    Der Wodka war kühl wie die Polarnacht
und zog dennoch warm durch die Eingeweide.
    Petra trank ebenfalls. Nach einer Pause
fragte sie leise: »Was ist mit Schwester Anna?«
    »Sie haben sie fortgebracht. Zur
Gerichtsmedizin, nehme ich an.«
    Petra schüttelte sich leise. Es war
nicht der Wodka.
    »Arme Anna«, sagte sie, »sie war
fürchterlich unbeliebt... Ich bin auch ein paarmal mit ihr zusammengeknallt,
weil sie mir hier Vorschriften machen wollte. Aber daß jemand sie so gehaßt
haben soll, daß er sie...«
    »Es muß mit dem Morphium zu tun haben«,
sagte ich. Petra ließ neuen Wodka in mein Glas laufen. Als ich es ansetzen
wollte, kam jemand zur Tür herein. Es war Pinkus.
    Er stemmte die Fäuste in die Hüften

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