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Die letzte Visite

Die letzte Visite

Titel: Die letzte Visite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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mit Fug verneinen.«
    Nogees zog seine Augen zu Stagg und zu
Pinkus.
    »Und Sie?«
    Die Staggin sah aus wie eine
Schullehrerin, die besorgten Eltern das Sitzenbleiben des Sprößlings mitteilt.
    »Ich muß mich der Ansicht des Herrn
Oberarztes anschließen, Herr Kommissar.«
    »Sie hat ihre Nase überall drin
gehabt«, sagte Pinkus trocken. »Wenn sie eine Warze draufgehabt hätte und die
Geschäfte anderer Leute Knopflöcher, hätte sie sie zuknöpfen können. Aber ihr
Geschäft verstand sie, da gibt’s kein Kontra. Und mir tut bitter leid, was
passiert ist. Das hat sie nicht verdient. Sie hat keine Angst gehabt, vor
niemandem und nichts, und sie ist raufgegangen mitten in der Nacht, um die
verfluchte Pumpe in Gang zu bringen.
    Ich weiß nicht, ob ich nicht schon auf
halber Höhe die Hosen voll gehabt hätte.«
    Der Kommissar sah Pinkus an. Er schien
sich zu freuen über dessen Worte, aber man konnte bei den Burschen nie wissen,
ob sie nicht genauso aussahen, wenn sie einen gerade in Verdacht hatten.
    »So. Wegen dieser Nase mit der
fehlenden Warze hat sie wohl auch sofort entdeckt, daß das Morphium fehlte?«
    »Natürlich.« Bierstein nickte voller
Überzeugung. »Wir hätten’s wahrscheinlich nie gemerkt oder erst bei der
Übergabe nach der Versetzung. Wir brauchen selten welches, und ich wußte nicht
amal genau, wieviel Ampullen da waren.«
    Nogees nahm sich eine Zigarette. Er
hatte schon zehn Minuten keine gehabt.
    »Wie erklären Sie sich das
Verschwinden?«
    »Gar nicht bis jetzt. Ein Patient, das
ist das wahrscheinlichste.«
    »War die Oberschwester auch dieser
Ansicht?«
    Bierstein machte eine Pause und
benutzte sie, sich auch eine anzustecken.
    »Das weiß ich nicht genau, Herr
Kommissar. Als sie uns von der Geschichte erzählte, tat sie so, als hätte sie
einen bestimmten Verdacht. Sie sagte, sie könnte sich unter Umständen schnell
Gewißheit verschaffen.«
    Er schwieg.
    Pinkus sprach in die Pause.
    »Erlaube mir in aller Bescheidenheit,
zu bemerken, daß ich das für Wichtigtuerei gehalten habe. Hatte den Eindruck,
daß sie sich nur ärgerte, weil unter ihren Linsen sich das Zeug verflüchtigt
hat. Das hat ihr einen harten Schlag gegeben.«
    »Auf jeden Fall kam sie nicht mehr
dazu, sich Gewißheit zu verschaffen«, sagte der Kommissar hinter einer
Rauchwolke. Und dann war ich wieder dran.
    »Warum haben Sie Ihr Taschentuch
genommen, um den Schalter und den Lukendeckel anzufassen, Doktor Bold?«
    »Ich weiß, daß man in solchen Fällen
nichts berühren soll«, antwortete ich. »Ganz egal, was passiert ist. Den Puls
kann man schlecht fühlen durch ein Taschentuch, aber...«
    Nogees nickte, als wäre er restlos mit
meiner Rede einverstanden.
    »Hm, hm, sicher, ganz richtig. Aber oben,
den Deckel, den hätten Sie doch eigentlich so anfassen können. Dachten Sie, daß
da vielleicht Fingerabdrücke dran wären?«
    Ich sah im Kreis herum. Keiner half
mir.
    »Ich — rechnete mit dieser
Möglichkeit.«
    »Warum?«
    »Na ja — der Stein kann zufällig heruntergekommen
sein. Es kann aber auch jemand nachgeholfen haben.«
    Bierstein kniff die Augen leicht
zusammen. Die Stagg beugte sich vor und betrachtete mich wie einen seltenen
Tiefseefisch im Aquarium. Pinkus veränderte sich nicht.
    Nogees fragte: »Glauben Sie mehr an die
erste Möglichkeit oder mehr an die zweite?«
    »An beide gleich. Ich hatte nur ein
ungutes Gefühl, als die Oberschwester so lange ausblieb. Ich weiß auch nicht,
warum. Oben habe ich nichts gesehen, was darauf schließen ließ, daß sich ein
Dritter dort herumgetrieben hat. Aber als ich wieder im Haus war, erzählte mir
die Nachtschwester, sie hätte Schritte auf der Treppe gehört, während ich weg
war.«
    »Schritte?«
    »Ja. Jemand sei leise die Treppe
heraufgekommen. Sie glaubte zuerst, ich wäre es. Dann hörte sie nichts mehr.«
    Nogees zerquetschte seine Zigarette.
    »Was haben Sie daraus geschlossen?«
    Ich lächelte. Sicherlich sah es leicht
gequält aus.
    »Ich glaube kaum, daß ich Talent habe,
Ihre Arbeit zu machen, Herr Kommissar«, sagte ich. »Ich hab’ nur daran gedacht,
daß jemand im Park gewesen sein könnte und vor mir zurückgekommen wäre. Und den
hat die Inge gehört.«
    Bierstein fuhr sich mit einer hastigen
Bewegung durch seine Haarborsten.
    »Schön, schön, Herr Bold. Bin ooch ‘n
alter Freund von Krimis, wie der Bundeskanzler. Aber ich finde, man sollte
zuerst das Nächstliegende annehmen. Wird ein Patient gewesen sein, der nachts
auf’n Lokus gegangen

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