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Die letzte Visite

Die letzte Visite

Titel: Die letzte Visite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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und
musterte uns mit Sarkasmus.
    »Natürlich! Wodka am hellichten
Nachmittag! Da muß ja die Klinik zugrunde gehen! Kriege ich auch was von dem
Gebräu der Finsternis?«
    »Da müssen Sie meine Stütze fragen«,
gab ich zur Antwort. »Sie verwaltet die Kreislaufmittel.«
    »Sie kriegen einen, Doktor Pinkus«,
rief Petra, »es wäre denn, Sie bringen Arbeit.«
    »Gerade dies ist mein Begehr. Eine
Aufnahme, schönstes Röntgenmädchen. Nur eine kleine, winzige, unscheinbare,
mühelose Lunge dreißig mal vierzig. Ist das zu hart?«
    »Eine Lunge geht«, versetzte Petra
gnädig. »Bei einer ganzen Wirbelsäule wäre ich in den unbefristeten Streik
getreten. Hier, bitte.«
    Sie gab Pinkus ein Glas und goß es
voll. Er schnupperte wollüstig.
    »Wieso die Überstunden?« fragte ich.
    Pinkus trank aus und sah zu Boden.
    »Es ist sozusagen zum Kotzen auf
indogermanisch. Dem Bergius geht es schlechter.«
    »Bergius?«
    »Der Rechtsanwalt mit der Meningitis«,
erklärte Pinkus müde.
    »Macht ‘ne Sicherheitskur mit
Streptomycin. Seit heute mittag ist er schläfrig wie ein Beamter vor
Ladenschluß. Hab’ ihn punktiert heute vormittag. Matt, kaputt, kaum
ansprechbar. Gestern war er noch munter.«
    »Das gibt’s doch aber«, sagte ich. »Tbc
— Meningitis. Die werden immer mal müde.«
    »Der braucht nicht müde zu werden. Hat
seine Kuren, alles war okay bis jetzt. Kann nur eine neue Streuung haben, das
ist es, wovor mit der Hosenboden schlottert. Deswegen wollte ich Euer Liebden und
die Gnädigste bitten, zu dieser späten Stunde noch eine Aufnahme zu machen.
Wenn er eine Aussaat hat auf der Lunge, ist der Fall geklärt. Dann verlegen wir
ihn blitzschnell heim in die Stammfiliale. Soll sich der Chef damit ärgern.«
    Petra gab uns alle auf diesen Schrecken
hin noch einen Schnaps.
    »Das ist der letzte! Wir müssen noch
was tun.«
    Wir tranken alle zusammen aus.
    »Es kommt aber auch selten ein Unglück
allein«, sagte ich. »Das Morphium, die Anna, die Kripo in der Bude und nun
dieser Ärger mit dem Herrn Rechtsanwalt. Ich habe gedacht, hier wäre
Sommerfrische das ganze Jahr.«
    »War es auch. Kann ich ihn herrollen?«
    »Petra wird dieses Amtes walten«, sagte
ich feierlich.
    Sie räumte blitzschnell die Flasche und
die Gläser weg. Pinkus ging hinaus. Petra spannte eine Kassette in den Apparat.
Wir warteten, bis der Anwalt hereingefahren wurde.
    Gut sah er wirklich nicht aus.
    Er erkannte uns, nickte schläfrig und
ließ alles mit sich geschehen.
    Die Aufnahme ging rasch.
    »Kann ich gleich warten?« fragte
Pinkus, als der Patient wieder versorgt war.
    Wir warteten, bis Petra die Aufnahme
entwickelt und aus dem Wasserbad genommen hatte. Dann gingen wir in die
Dunkelkammer.
    »Mag sein, daß es mein Alter ist«,
sagte ich. »Ich sehe nichts von miliarer Aussaat. Sehen Sie was?«
    Pinkus sprach zwei Minuten lang nicht.
Er guckte die Aufnahme an, wie ein Philatelist eine Mauritius.
    »Sehe auch nichts«, sagte er. »Was hat
der Bursche bloß?«
    »Der Lungenbefund kann nachkommen.
Machen wir in ein paar Tagen noch ein Bildchen Mehr kann man nicht tun.«
    »Ihr Röntgenknechte habt’s
gut«,murmelte Pinkus. »Sitzt im Dunkeln und redet klug daher. Habt hübsche
Assistentinnen, die euch mit purem Wodka begießen. Und ich stehe da und weiß
nicht, warum der Mann auf einmal nicht mehr mitspielen will. Na, nichts für
ungut dann. Mein Name ist Gummi. Ich ziehe mich zurück.«
    »Unglück schläft nicht«, sagte ich, als
er gegangen war.
    »Der Ober wird äußerst sauer werden,
wenn dem Herrn was passiert.«
    »Muß ja nicht gleich so schlimm
kommen«, erwiderte Petra. »Die Lunge ist ganz sauber.«
    »Schon, schon. Aber Rückfälle kann es
immer geben. Auch unter Streptomycin. Na, hoffen wir, daß Ihr jugendlicher
Optimismus siegt.«
     
     
    Am nächsten Morgen zur Visite sah es
aus, als ob Dr. Bergius bald sterben würde.
    Er lag ganz still in seinem Bett.
Schmerzen schien er nicht zu haben. Er war apathisch, ganz ohne Antrieb und
lächelte nicht, als wüßte er, daß er auf der Schwelle stand. Sein abgemagerter
Körper zeichnete Linien in die dünne Decke, die Hände lagen reglos daneben.
    Die Augen in dem grauen Gesicht waren
geöffnet, verschleiert, mit engen Pupillen. Keine Krämpfe, kein Fieber oder
Schüttelfrost, nur ein langsames Verlöschen, er wollte nicht mehr, er wollte
fortgehen, unbemerkt und ungehindert.
    Bierstein starrte mit kleinen Augen in
die Fieberkurve. Die Stagg sah über seine Schulter. In kleinen

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