Die letzte Visite
die
Klapsmühle.«
Unwirsch aß er weiter. Ich suchte nach
etwas in meinem Hirn und fand es nicht.
IV
Es kamen am Nachmittag noch ein paar
Lungendurchleuchtungen. Ich schwitzte hinter meiner Kanone wie ein Heizer.
Durch die Sprechanlage trieb ich Konversation mit Petra, sie regelte die
Kilovolt am Schalttisch und schickte den nächsten Herrn zu mir herein, wenn
einer fertig war. Im grünlichen Licht sah ich Herzen, Rippen, Lungen. Meine
Hände trieften in den Bleihandschuhen. Die Schürze wog achtmal so viel wie
sonst. Es war unglaublich, bei diesem Wetter arbeiten zu müssen, anstatt mit
Petra im Teich zu schwimmen und mit der Bauchhaut Sonne zu saugen.
»Gut«, sagte ich in das Mikrophon und
knipste die Röhre aus.
»In Ordnung, Herr Schinulke. Wandern
Sie heim zu Ihrem Stübchen.«
»Sieht et jut aus, Herr Dokta?« fragte
Schinulke hinter dem Schirm.
»Hervorragend. Beste Lunge des Tages.«
»Sie schwindeln mir alten Mann an!«
»Ehrenwort«, sagte ich. Petra kam, zog
ihn hinter dem Schirm vor. Ich drehte mich auf dem Schemel und schob die Brille
über die Augen.
»Noch wer?«
»Noch einer. Strassmann von drei.«
»Ah. Von Fräulein Doktor!«
»Ja. Die brauchen immer ‘ne
Extraeinladung.«
»Wie ist es mit Anrufen?«
»Hab’ ich. Meldet sich keiner im
Stationszimmer. Trinken Kaffee. Ich lauf rüber und hol ihn.«
»Das ist brav.«
Ich lehnte mich an den arretierten
Schirm und baumelte mit den Beinen. Über mir glimmte die rote Dunkellampe wie
durch bläulichroten, schweren Samt. Durch die Tür des Schalterraumes zwängte
sich ein Streifen Tageslicht, aber ich sah nur einen trübblauen Keil in meiner
Brille und roch von der frischen Luft nicht viel.
Moderne Röntgenläden hatten
Elektronenverstärker und Fernsehaggregate, man konnte im Hellen durchleuchten
und brauchte die Bleirüstung nicht. Aber selbst Bierstein würde das unserer
Verwaltung nicht herauskitzeln können, und wenn er hundert Jahre alt würde und
Menuett vor ihr tanzte und Saxophon dazu blies.
Ich drehte mich ein paarmal mit dem
Schemel um mich selbst, bis das Gewinde am Ende war. Dann wieder hinunter.
Hinterher spielte ich mit den Schaltern der Deckenlampe und des Mikrophons und
dichtete dazu ein neues Lied mit der Anfangszeile: »Knips, knips, Brüderlein
knips!«
Mitten im Summen und Knipsen hörte ich
auf. Ein Geräusch war dagewesen, irgendwo an den Umkleidekabinen oder im
Schaltraum. Ich saß ganz still und starrte durch die blauen Gläser.
Ich hörte, wie sich vorsichtig Schritte
durch die hintere Tür zum Schaltraum tasteten. Dann fiel ein Schatten in den
Lichtkeil. Ich blieb sitzen. Eine sanfte, heiße Welle schoß mir von unten her
in den Hals, und ich ärgerte mich.
»Herr Doktor?«
Eine Frau. Ich atmete viel und tief ein
von der stickigen Luft und strich den Stirnschweiß nach oben in meine Haare.
»Hier bin ich. Im tiefen Dunkel sitz
ich hier.«
Der Schatten bewegte sich wieder, wurde
größer. Dann stand ein Mädchen in der Tür.
Nicht Petra, wie ich auf Anhieb
erkannte. Abgesehen von der Figur. Sie hatte ein Häubchen auf. Eine Schwester.
»Ohne Zweifel bringen Sie den Herrn
Strassmann von drei.«
»Nein, Herr Doktor.«
Jetzt erkannte ich die Stimme, die mich
in diesem Haus als erste begrüßt hatte. Inge.
»Nun denn«, sagte ich, wieder äußerst
munter. »Immer seltener werden die Besuche hier in dem strahlenverseuchten
Kasten. Sie fürchten nicht um Ihre Nachkommenschaft, Schwester Inge?«
Nach Unsinn war ihr nicht zumute.
»Herr Doktor, wenn Sie etwas Zeit
haben?«
»Ich habe Zeit. Petra treibt mich zur
Arbeit an, das bestialische Weib. Aber gottlob ist sie weit weg auf Station...«
Sie kam dichter an mich heran als die
Patienten hinter dem Schirm.
»Ich muß Sie sprechen, Herr Doktor...«
Manchmal hört man in einer Stimme, daß
etwas nicht in Ordnung ist.
»Was ist denn, Inge?«
»Es ist wegen des Streptomycin...«
»Es ist was?« fragte ich.
»Das Streptomycin. Ich habe gesehen,
wer es genommen hat.«
Sie schwieg, und ich hörte sie atmen.
Es dauerte etwas, bis mir einfiel, wovon sie redete.
»Ach. Sie haben... na, wer denn?«
Ich konnte ihr Gesicht nicht erkennen,
aber ihre Stimme bebte etwas.
»Es ist... ich möchte es jetzt nicht
erzählen.«
»Warum nicht?«
»Ich habe jetzt nicht genug Zeit, es
dauert etwas länger, und ich wollte sowieso einmal mit Ihnen reden...«
»Warum gerade mit mir?«
Sie schien sich vor irgend etwas zu
fürchten.
»Ich weiß nicht, wem ich es
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