Die letzte Visite
herein.
»Entschuldigung«, sagte ich. »Meine
Knie waren noch leicht wacklig.«
»Verständlich.« Seine Stimme war sanft
wie der Nachtwind.
Ich stand auf und rückte die Stühle am
Tisch zurecht. Es dauerte keine zehn Sekunden, bis Nogees auch rauchte. Bald
würden die Mücken tot von den Wänden fallen.
»Am besten, Sie erzählen von Anfang
an.«
Ich tat es. Bergius’ letzte Punktion.
Sein Tod. Marias Mitteilung, daß die Streptomycinflasche fehlte.
»Was kann man damit anfangen?«
Ich hob die Schultern.
»Nicht viel mit so einer Menge.
Infektionskrankheiten, der Oberarzt dachte daran, daß vielleicht irgendeiner
von den Patienten ‘ne peinliche Erkrankung hat und sich selber behandeln will...«
»Warum gerade ein Patient?«
Ich grinste leicht.
»Wenn Sie das meinen... unsereiner hat
andere Möglichkeiten, an das Zeug heranzukommen. Außerdem nimmt man eher
Penicillin bei — äh — «
»Verstehe.«
»Also das hätte allenfalls sein können.
Aber sonst...«
»Gibt es einen Zusammenhang zwischen
Morphium und Streptomycin? Hat das was miteinander zu tun?«
»Als ich Pharmakologie lernte, war
Streptomycin noch nicht aktuell. Später habe ich nie gehört, daß es was mit
Morphium zu tun hätte. Es sei denn, die Pharmakologen hätten was Neues
ausgeknobelt.«
Nogees kritzelte auf seinem Block herum.
»Weiter bitte.«
»Heute nachmittag, während einer Pause
beim Durchleuchten, kam Schwester Inge zu mir in die Abteilung.«
»Wann?«
»Wann? Wird gegen vier, halb fünf
gewesen sein. Petra, die Röntgenassistentin, wird es Ihnen genauer sagen
können.«
»Sie war nicht dabei, als Inge mit
Ihnen sprach?«
»Nein. Sie holte einen Patienten von
der Station, der uns noch fehlte. Während dieser Zeit war Inge bei mir.«
»Was sagte sie?«
Ich erzählte, was sie gesagt hatte.
»Und Sie hatten das Gefühl, sie hätte
Angst?«
»Ja. Sie hätte mir den Namen ja gleich
sagen können. Aber sie wollte nicht. Wollte ungestört mit mir reden.«
»Können Sie sich vorstellen, warum?«
»Keine Ahnung. Es sollte niemand
zuhören. Ich habe mich auch gewundert, warum sie ausgerechnet zu mir gekommen
ist. Sie hatte mich als erste bei meiner Ankunft in der Halle gesehen und ins
Kasino gebracht... vielleicht lag es daran.«
»Wahrscheinlich erwecken Sie Vertrauen.
Und?«
»Und dann ging ich gegen neun nach
oben. Dachte, ich wäre eher da. Das war ich aber nicht.«
Er schwieg. Ich atmete den Rauch tief
ein.
»Ich merkte plötzlich, daß meine Sohle
auf der Stufe klebte. Dann faßte ich hin und merkte nach einer Weile, was da
herunterlief. Oben...«
»Oben haben Sie nichts mehr angefaßt?«
»Ganz kurz den Puls.«
»Wie bei Schwester Anna.«
»Wie bei Schwester Anna.«
Nogees lächelte.
»Sie werden allmählich zum Spezialisten
im Auffinden von Leichen.«
»Ich werde mir Mühe geben, damit
aufzuhören«, sagte ich verärgert.
»Hm. Und Sie haben niemandem erzählt,
daß Inge sich mit Ihnen...«
»Nein.«
»Wirklich nicht?«
»Nein.«
»Dann muß sie es jemandem erzählt
haben.«
»So, wie sie sich verhielt, kann ich
mir das nicht vorstellen«, antwortete ich. »Sie hat mich eindringlich gebeten,
den Mund zu halten. Weswegen sollte sie ihn da nicht halten?«
»Kann jemand Ihr Gespräch angehört
haben?«
»Ich hab’ schon daran gedacht. Wüßte
nur nicht wie. Wir haben leise gesprochen...«
»Was ist mit der Tür zum Schaltraum?«
»Zu. Inge hat sie hinter sich
zugemacht. Da kann im Schaltraum keiner...«
Ich ließ den Mund offenstehen und
starrte den Kommissar an. Er wartete geduldig. Die Glut meiner Zigarette fing
an, mir die Finger zu grillen. Ich drückte den Rest aus. Ich versuchte mich zu
konzentrieren, wie es gewesen war.
»Ist etwas?« fragte Nogees.
»Moment, Moment, gleich komm ich
dahinter. Das kann völliger Blödsinn sein, aber...«
»Blödsinn höre ich besonders gerne.«
»Also: Inge erzählte ihre Story. Bei
geschlossener Tür. Als sie ging, ließ sie die Tür offen. Petra kam und brachte
den letzten Patienten. Ich klemmte ihn hinter den Schirm, schaltete ein. War
kein Strom auf der Röhre. Ich rief ins Mikrophon nach Petra. Sie hörte nichts.
Sie konnte nichts hören, denn die Sprechanlage war ausgeschaltet.«
»Aha. Und?«
»Ja, Augenblick. Als ich allein war — bevor
Inge kam — da hatte ich aus Langeweile an allen Schaltern herumgeknipst. Auch
an dem der Sprechanlage. Und da muß ich den Schalter auf ›Ein‹ stehengelassen
haben. Denn als der Patient hinterm
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