Die letzte Visite
sonst
erzählen soll. Sie kenne ich schon ein bißchen...«
»Na, viel können Sie eigentlich nicht
von mir kennen«, sagte ich leicht verwundert, »aber ich will mir’s gerne
anhören. Und wann darf ich Ihre Geschichte erfahren?«
Sie zögerte.
»Vielleicht heute abend im Park?«
»Ich bin nie abgeneigt, wenn mich eine
Dame auffordert, abends in den Park zu kommen. Außerdem pflege ich recht
regelmäßig den Turm zu erklimmen. Ist um acht richtig?«
»Lieber etwas später...«
»Noch später! Also neun.«
»Gut. Ich bin um neun oben. Wenn...
wenn jemand da sein sollte, verschieben wir es...«
Ich sah nicht ganz durch, aber fest
stand, daß es ihr ernst zu sein schien.
»Schön, Inge. Ich bin um neun oben.«
»Und bitte, sagen Sie niemandem, daß
wir uns treffen wollen!«
»Ich halte meine Rendezvous immer
geheim«, sagte ich.
Sie antwortete nicht mehr. Sie
verschwand wie ein Schatten und ließ mich in der leeren Dunkelheit zurück.
Bißchen komisch. Aber es interessierte
mich. Sie mußte etwas beobachtet haben, es konnte mit dem ganzen Fall und mit
Anna zu tun haben, und Inge fürchtete sich und wollte es nicht dem Verkehrten
erzählen. Immerhin schmeichelhaft, daß sie mich für den Richtigen hielt.
Wieder kamen Schritte, sehr energische.
Petra schleifte den Patienten heran.
»Dort ziehen Sie sich bitte aus, Herr
Strassmann«, hörte ich sie sagen. Dann klappte die Tür zur Umkleidekabine.
Petra kam in den Schaltraum.
»Sind Sie noch da?«
»Ich und der Durst, wir zwei.«
»Der hat seelenruhig Skat gespielt.«
»Da werden die zwei anderen aber jetzt
traurig sein.«
Sie öffnete die Tür zur Kabine.
»Ach, Herr Strassmann. Was für ‘n Blatt
hatten Sie in der Hand?«
»Nichts Besonderes, Herr Doktor. Nich’
schade drum.«
»Das tröstet mich«, sagte ich. »Kommen
Sie und zwängen Sie die Heldenbrust hier herein.«
Er tat es. Ich schob den Schirm in die
richtige Höhe, knipste das Rotlicht aus und schob die Brille. Dann schaltete
ich ein und sah nichts.
Petra hatte am Schalttisch noch keinen
Strom gegeben. Ich knipste die Sprechbüchse an und drehte meinen Kopf zum
Mikrophon.
»Petra! Stro — om!«
Nichts passierte. Vielleicht war sie
rausgegangen.
»Petra, gutes Kind. Wir sitzen im
Finstern! Strom auf die Kanone!«
Abermals ereignete sich nichts.
»Moment«, sagte ich, erhob mich vom
Schemel, zog die Brille herunter und ging zur Tür. Petra saß friedlich am
Schalttisch.
»Es durchleuchtet sich so schlecht ohne
Strom«, sagte ich mit sanftem Tadel. »Wo bleibt derselbe?«
»Sie haben nichts gesagt!«
»Was? Nichts gesagt? Der Himmel und
Herr Strassmann sind meine Zeugen, daß ich laut und vernehmlich ins Mikrophon
sprach...«
Petra wartete nicht ab, was ich
gesprochen hatte. Sie ging an mir vorbei zum Gerät. Ihre Hand faßte nach dem
Schalter der Sprechanlage.
»Hab’ ich mir doch gedacht. Das Ding
ist abgeschaltet!«
Ich hoffte, daß sie im Dunkeln mein
einfältiges Gesicht nicht sehen konnte.
»Ausgeschaltet? Infame Lügen!«
Anstelle einer Antwort schlug sie den
Schalter um.
»Da! So ist er drin!«
Ich rief noch einmal »Strom« und hörte
das Echo meiner Stimme im Schaltraum.
»Tatsächlich. Es kann nur der
Sauerstoffmangel sein. Entschuldigen Sie vielfach, Petra. Die Sprechanlage war
schon an, und ich habe sie ausgeschaltet.«
»Macht gar nichts.«
Sie verschwand. Ich schaltete die Röhre
ein, entfernte die Brille endgültig und das grüne Licht erschien vor meinen
Augen und zeichnete Strassmanns Brustkasten auf den Schirm, als ob plötzlich
der Tod vor mir stände.
Es war kurz vor neun, und der Abend
schien mir dämmriger als sonst. Konnte auch ein leichter Mangel an Vitamin A
sein. Ich beschloß, morgen ein paar entsprechende Pillen einzunehmen.
Öderes war der Regen. Am späten
Nachmittag war er heruntergekommen. Das Wetter war umgekippt, und Feuchtigkeit
hing in der Luft. Dem Sommer ging langsam die Puste aus. Bald würde der Herbst
ihn völlig in die Flucht schlagen.
Ich ging langsam auf den Berg zu. Am
Waldrand blieb ich stehen, um meine Augen noch ein bißchen zu trainieren.
Möglich, daß mich jemand vom Haus sah, aber das war gleichgültig, ich ging oft
nach oben, jeder wußte das. Mit Petra traf ich mich nicht regelmäßig. Es war
fast schöner, wenn es überraschend passierte.
Wenn sie oben war, würde Inge ohnehin
rechtzeitig schalten und vermutlich nichts erzählen. Ebenso, wenn sonst wer
oben war.
Ich ging weiter zwischen den
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