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Die letzte Visite

Die letzte Visite

Titel: Die letzte Visite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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und schwieg.
     
     
    Kommissar Nogees hatte sich für den
nächsten Tag, elf Uhr, angesagt. Um zehn saß ich schwitzend hinter meinem
Bildschirm.
    Neben mir stand Fräulein Dr. von Stagg
und sah sich die Lunge eines ihrer Patienten an. Das Gewicht der Bleischürze
zog sie fast in den Fußboden hinein.
    »Sehen Sie?« sagte ich leise. »Erguß
geht zurück. Nur noch ‘ne Winkelverschattung. Tolle Erfolge auf Station drei.«
    »Na, herrlich«, japste die Stagg. »Und
sonst?«
    »Sonst keine Änderung. Das Infiltrat
ist wie beim letztenmal. Aber das werden Sie auch noch in die Flucht schlagen,
wie ich Sie kenne.«
    »Er hat schon einen Haufen PAS«, sagte
Fräulein von Stagg. »Herr Matthies, wieviel Infusionen haben Sie?«
    »Vierundzwanzig, Fräulein Doktor«,
antwortete der Patient. Man hörte, wie er mit den Hacken klappte.
    Ich zog die Blende zu und schaltete ab.
Das Deckenlicht flammte auf, und wir blinzelten heftig.
    »Ende«, sagte ich ins Mikrophon.
    Petra kam herein und nahm den zackigen
Herrn Matthies mit sich.
    Ich sah auf meine Uhr.
    »Nun wird der Gevatter Sherlock Nogees
bald erscheinen. Bin gespannt, wen er diesmal auseinandernimmt.«
    Sie schlug die Hände vor die Bäckchen.
Ihr Haarknoten zitterte.
    »Hoffentlich nicht mich! Das wäre
grauenhaft!«
    »War er denn beim letztenmal nicht nett
zu Ihnen?«
    »Doch, sehr, aber wenn ich Polizei
sehe, kriege ich immer Schüttelfrost. Was will er denn diesmal?«
    »Eine kleine Vorstellung inszenieren.
Die letzte Punktion von Bergius.«
    »Die letzte Punktion? Wozu soll das gut
sein?«
    »Ich habe keinerlei Ahnung, verehrtes
Fräulein Doktor. Kommen Sie, verlassen wir das Verlies. Wenn Petra gute Laune
hat, verhilft sie uns zu einem kalten Wodka.«
    »Ein Gelage am Vormittag? Ich bin
entsetzt!«
    »Das legt sich. Außerdem überstehen wir
dann den Kriminalfilm besser.«
    Wir gingen durch den Schaltraum hinaus
ins Demonstrationszimmer und hängten die Bleischürzen an ihre Haken. Die
Fenster standen auf und ließen viel Sauerstoff herein. Petra stand am Regal und
ordnete Filme in die Fächer.
    »Petra«, sagte ich, »das Fräulein
Doktor und ich, wir haben gedacht, daß wir nach getaner Arbeit etwas Wodka
verdient hätten! Wie lautet Ihre Antwort?«
    »Wie soll sie schon lauten«, antwortete
Petra. Gleich darauf klappte der Eisschrank.
    Wir kippten den Wodka hinunter.
Fräulein Doktor schüttelte sich als einzige.
    »Oh, heilige Edeltraud«, sagte ich,
»eine Ärztin und kann keinen Wodka trinken.«
    »Noch einen, Fräulein Doktor?« flötete
Petra.
    »Um Himmels willen! Soll ich beschwipst
auf Station kommen? Und wie soll ich nachher dem Kommissar unter die Augen
treten?«
    »Oh, den hätte ich beinahe vergessen.
Haben wir noch was, Petra?«
    »Wenn Sie Lust haben, können Sie mir
die Schicht noch diktieren.«
    »Lust habe ich nie. Die Bezahlung ist
auch gar nicht danach. Fräulein Doktor, wir danken für Ihren lieben Besuch.
Kommen Sie bald wieder.«
    Edeltrauds Bäckchen glänzten jetzt, als
hätte sie etwas Fieber.
    »Wiedersehen!« winkte sie von der Tür
her.
    »Wäre das nicht eine Frau für Sie?«
fragte Petra. Ich sah sie an, als hätte sie mich auf die beste Idee meines
Lebens gebracht.
    »Das wäre zu überlegen, in der Tat.
Halbadlige Kinder, Gemeinschaftspraxis mit Doppel verdienst, vornehme
Verwandtschaft mit ein paar Grafen drin sowie etlichen Ländereien, Abneigung
gegen Trunksucht. Reife, gefestigte Daseinsauffassung, Prinzipien,
schöngeistige Interessen, gepflegte Häuslichkeit — das ist es, was mir
vorschwebt.«
    »Das ist es, was Ihnen vorschwebt«,
wiederholte Petra kopfnickend. Ich ergriff ihre Hand.
    »Ich bin Ihnen ewig dankbar für den
Hinweis, Petra. Noch heute, falls ich nicht verhaftet werde, arbeite ich meinen
Heiratsantrag aus...«
    »Und ich bin Ihnen ewig dankbar, wenn
Sie mir jetzt die Schicht diktieren.«
    Sie trieb mich zum Schaukasten, wo die
Schichtaufnahmen schon säuberlich über dem milchigen Neonlicht hingen. Ich
diktierte brav nacheinander die Befunde der Übersicht und der Schichtbilder und
stellte abschließend fest, daß es sich um eine ältere, aktive Tuberkulose mit
einer Kaverne im linken Oberlappen handelte.
    Es war zehn Minuten vor elf.
    »Nunmehr sind Sie mir ewig dankbar.
Darf ich als ersten Beweis dafür erbitten, daß Sie mich heute nachmittag mit
zum Baden nehmen, wie Sie schon einmal geschworen haben?«
    »Erstens habe ich gar nichts
geschworen«, sagte Petra und nahm die Aufnahmen herunter. »Zweitens

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