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Die letzte Visite

Die letzte Visite

Titel: Die letzte Visite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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auf,
als hätte er blankes Aqua destillata dazugegeben. Kein Unterschied, nichts zu
sehen, nichts zu riechen. Nur, daß jetzt bei den tausend Milli Streptomycin
zweihundert Milli Morphium dabei sind, wenn er die nullzweier Ampullen genommen
hat. Und jetzt fehlt noch, daß wir Idioten uns dranmachen und spritzen das Zeug
intralumbal — jeden Tag einen Kubik, direkt in den Liquor, schöne Lege artis,
wie es sich gehört. Bold! Petra! Einen kürzeren Weg zum Atemzentrum gibt’s ja
gar nicht!«
    Er hatte recht. Einen kürzeren gab es
nicht.
    Das Morphium geriet in den Strom der
Rückenmarkflüssigkeit. Es kam gleichzeitig mit dem Streptomycin an der
Hirnbasis an.
    »Jetzt wird alles andere auch klar.
Zuerst ging’s ihm gut. Dann Verschlechterung, Apathie. Selbstverständlich denkt
jeder Vorkliniker an eine Ausbreitung der Meningitis. Aber keine Anzeichen,
nichts im Punktat, kein Eiweiß, wenig Zellen. Na schön, denkt der alte
Bierstein, abgekapselter Herd, Hirnabszeß, irgend so etwas Häßliches. Alles
schon vorgekommen. Und punktiert weiter. Und spritzt noch mehr Morphium in die
Leitung. Meine Güte, hätten wir bloß nicht weitergemacht!«
    Ich sah ihn an.
    »Gratuliere, Herr Oberarzt. Es leuchtet
sogar mir ein. Jetzt, wo ich es weiß.«
    »Da soll ein Mensch darauf kommen. Ich
muß was trinken!« Petra leerte ihr Glas. Ihre Augen waren voller Bewunderung.
»Deswegen mußte das Morphium verschwinden! Und hinterher das Streptomycin!«
    »Ja, Mädchen! Der Kommissar hatte recht.
Das mußte miteinander zu tun haben! Jemand wollte dem Bergius an den Kragen,
das ist der Witz bei der Geschichte. Anna und Inge sind leider mit
hineingeraten.«
    »Was jetzt?« fragte ich.
    »Jetzt flitzen wir in die Pathologie
und hetzen die Genossen auf den Liquor! Ich fresse mein Saxophon, wenn sie
darin nicht Annas Morphium wiederfinden! Nachher rufe ich an. Der Nogees wird
sich wundern. Klärchen, zahlen!«
    Petra guckte zu mir.
    »Aber wer bringt einen Patienten um?
Und warum?«
    »Keine Ahnung. Das soll die Polizei
herausfinden.«
    Wir bezahlten. Ich trank den Rest
meines Bieres.
    »Wissen Sie, was ich glaube?«
    »Noch nicht.«
    »Die Flasche mit dem präparierten
Streptomycin ist kurz nach der letzten Punktion verschwunden. Inge hat gesehen,
wer sie verschwinden ließ. Es sieht ganz so aus, als wäre es einer von denen
gewesen, die bei der Punktion dabei waren. Sie, ich, Fräulein von Stagg,
Pinkus, Schwester Maria und Schwester Inge. Inge scheidet aus. Bleiben fünf!«
    »Einer von uns fünfen«, wiederholte
Bierstein.
    Wir saßen im Vorzimmer des Prosektors.
Es war durch zwei massive Doppeltüren vom Hauptkorridor des pathologischen
Instituts getrennt. Aber der Geruch war auch hier. Dieser Geruch, der niemals
rauszubringen ist aus sämtlichen Pathologien der Welt, die Mischung aus totem
Fleisch, Konservierungsmittel, Dampfheizung, Desinfektion, Grab und
Forschungsdrang. Er war in jedem Stuhl, strömte aus allen Fachbüchern. Sogar
die Blumen und die Sekretärin schienen danach zu riechen.
    Bierstein flüsterte mir zu: »Mensch,
haben wir Glück gehabt, daß er noch hier ist!«
    »Der Andrang wird groß gewesen sein«,
sagte ich.
    »Klar. Alle Erfolge der Medizin
versammeln sich hier.«
    Ich war ziemlich müde. Bierstein hatte
gestern abend angerufen, als wir von Klärchens Lokal zurückgekommen waren, und
hatte mit dem Prosektor der Pathologie verhandelt. Früh am Morgen hatte er mich
aus dem Bett geworfen. Wir waren mit seinem Opel Baujahr dreiundfünfzig in die
Stadt gefahren. Petra mußte die Aufnahmen allein knipsen, aber mir war es ganz
recht, mal rauszukommen.
    Bierstein wollte außerdem unserem Chef
Bericht erstatten. Und zu Nogees...
    Ein Telefon läutete schwach. Das
ältliche Mädchen am Schreibtisch nahm den Hörer ab.
    »Jawohl, Herr Professor«, hauchte sie
ergeben, »sofort, Herr Professor.«
    Sie legte auf und sagte:
    »Die Herren möchten bitte zum Herrn
Professor hereinkommen.«
    Wir erhoben uns und folgten ihr. Der
Prosektor stand auf und kam uns entgegen, als sie die Tür hinter uns
geschlossen hatte. Inmitten des ganzen, tristen Instituts wirkte er ungemein
fröhlich, als freute er sich, daß er sich mit Beschwerden und der Behandlung
von Krankheiten nicht mehr abzugeben brauchte. Sein Haar war schon weiß und
stand in einem heiteren Heiligenschein um seinen Kopf.
    »Ja, meine Herren«, rief er, »dann
können wir hinuntergehen. Der Kollege Randers ist fertig.«
    Wir traten auf den Flur hinaus. Je
näher wir

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