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Die letzte Visite

Die letzte Visite

Titel: Die letzte Visite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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paar
Patienten waren noch drin.«
    »Sie waren zwischendurch draußen?«
    »Ja. Als ich mit meinem Kram hier
fertig war, hab’ ich Visite gemacht. Und dann bin ich zurückgekommen — noch ein
bißchen Schreiberei und so weiter.«
    Nogees blickte Maria an.
    »Um welche Zeit haben Sie das Fehlen
der Flasche bemerkt? Ungefähr?«
    »Ganz genau weiß ich es nicht mehr,
Herr Kommissar. Es muß kurz vor Mittag gewesen sein — vor der Essensausgabe — ja.«
    »Waren Sie allein hier?«
    »Ja.«
    »Wo waren Sie?« Nogees wandte sich an
Pinkus.
    »Auf meinem Zimmer, glaube ich«,
erwiderte Pinkus unbefangen.
    Eine Pause entstand.
    »Doktor Bierstein«, fragte Nogees, »wie
kam es eigentlich, daß Sie alle nach der Punktion den Raum so schnell verlassen
haben? Ist das nicht ungewöhnlich? Meistens bleiben die Ärzte nach so einer
Sache noch beisammen und besprechen den Fall.«
    Natürlich. Es war ungewöhnlich. An
seiner Stelle hätte ich genauso gefragt. Aber ich wußte, was Bierstein sagen
würde.
    »Richtig, Herr Kommissar. Im
allgemeinen machen wir das auch. Auch hier hatten wir schon alles besprochen,
vorher und auch bei den vorigen Untersuchungen. Jeder wußte, was mit Doktor
Bergius los war. Und jeder hatte es eilig, auf seine Station zu kommen. Die
laufenden Arbeiten waren noch nicht erledigt, keiner hatte Visite gemacht. Und
ich wollte früh am Morgen punktieren, weil mir die Geschichte unheimlich war
und ich keine Zeit verlieren wollte.«
    »Ach so.« Nogees nahm sich eine
Zigarette, steckte sie aber wieder weg. »Hier soll man wohl nicht rauchen, wie?
Ja, meine Damen und Herren. Wir stehen also vor folgendem Ergebnis: Entweder
wurde die Flasche bei dem allgemeinen, hastigen Aufbruch weggenommen, von einem
von Ihnen.« Er sah mit friedlichen Augen in unsere Gesichter. Dann drehte er
sich zu Pinkus.
    »Oder von Ihnen, Doktor Pinkus, der Sie
allein im Raum waren.«
    Pinkus nickte ihm freundlich zu und
sagte nichts.
    »Oder es ist später noch einmal jemand
zurückgekommen und hat die Flasche geholt. Ebenfalls einer von Ihnen, oder
einer der Patienten. Wissen Sie noch, welche Patienten Sie hier untersucht
haben?«
    »Genau nicht mehr«, antwortete Pinkus,
»aber das können wir mühelos feststellen. Brauchen nur die Krankengeschichten
durchzusehen, dann finden wir den Status unter dem Datum. Nur die können es
sein.«
    »Da wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie
das tun würden. Sicher ist jedenfalls, daß Schwester Inge den Betreffenden
beobachtet hat. Diese Beobachtung wurde ihr zum Verhängnis.« Er trat langsam zu
dem stummen Diener und rollte ihn hin und her. »Wir kommen nur weiter, wenn wir
wissen, wer das Streptomycin für Doktor Bergius mit Morphium präpariert hat.
Vor allem, wenn wir wissen, warum Doktor Bergius ermordet wurde. Hat jemand von
Ihnen hierzu eine Meinung, eine Vermutung?«
    Ich hätte ihm vorher sagen können, daß
niemand antworten würde.
     
     
    »Und nunmehr scheint er endgültig
festzuklemmen«, sagte ich zu Petra, »ich glaube, er wird so alt werden wie
sämtliche Mitwirkenden des Alten Testaments, ehe er das herausfindet.«
    Petra drehte ein Gänseblümchen zwischen
den Fingern. »Das ist aber auch komisch! Wenn es nun doch einer von den
Patienten war? Einer, der ihn von früher her kannte. Vielleicht irgendwelchen
Streit mit ihm hatte! Bei einem Anwalt ist das wahrscheinlich.«
    »Schon, schon. Aber häufiger leben sie
vom Streit anderer Leute, als vom eigenen.«
    Wir lagen zwei Meter vom Ufer des Sees
entfernt im Gras. Wir waren schon einmal im Wasser gewesen. Die Sonne brannte
durch die Tropfen wie durch tausend kleine Linsen auf meine Rückenhaut. Ein
paar Fliegen störten uns. Petra trug einen einteiligen Badeanzug, vermutlich
Annas Einfluß. Aber es war auch so genug zu sehen. Die Gegend war still und
friedlich wie ein Bild von Ludwig Richter. Wir konnten die Zweigstelle sehen,
nur die Turmkrone über dem waldigen Berg erinnerte uns an drei Morde.
    »Auf jeden Fall ist das die
raffinierteste Methode, von der ich jemals gehört habe«, fuhr ich fort. »Habe
die Hälfte meines Lebens damit verbracht, Kriminalromane zu verschlingen, gute
und miserable. So was ist noch keinem eingefallen. Morphium als Heilmittel
gegen die Meningitis. Schier unglaublich.«
    »Das kann doch nur ein Arzt gewesen
sein«, sagte Petra leise.
    Ich sah sie alle vor mir.
    Bierstein. Die gemütliche Rundlichkeit
mit dem Tonfall vom schlesischen Mittelgebirge und dem goldenen Herzen. Spielte
Saxophon und bastelte

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