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Die letzte Visite

Die letzte Visite

Titel: Die letzte Visite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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eingefallen.
    Die Taschenlampe hinter den Fenstern im
oberen Stockwerk. Der Lichtschein, von dem wir nicht gewußt hatten, in welchem
Zimmer er gewesen war. Als suchte jemand etwas.
    Natürlich. Nogees liatte mich gefragt,
beim Verhör nach Inges Tod, ob mir noch irgendeine Einzelheit aufgefallen wäre.
Da war ich nicht daraufgekommen. Licht aus einer Taschenlampe. Jemand hatte
gesucht und kein Licht gemacht. Wenn Anna...
    Ich ging zum Bett zurück und ließ mich
hineinfallen. Das war es. Und bestimmt war es wichtig. Ich schlief ein wie ein
Mann, der rechtschaffene Arbeit geleistet hat.
     
     
    Am Nachmittag des nächsten Tages hatte
ich noch niemandem vom Ergebnis meiner nächtlichen Gedankenarbeit erzählt. Erst
mal selbst überprüfen.
    Ich schlenderte durch den Park,
ehrerbietig gegrüßt von bummelnden Patienten. Auf den Turm durften sie nicht
hinauf, ich war sicher, allein zu sein. Ich stieg nach oben und musterte die
Fenster des Obergeschosses mit Adleraugen. Zum Teufel — welche waren es
gewesen? Die beiden ganz rechts? Das zweite und dritte? Das dritte und vierte?
Da stand ich und kam wieder nicht weiter. Das Licht hatte ich gesehen, aber wo?
Ich stand zehn Minuten wie mein eigenes Denkmal und starrte hinunter und
gestand mir ein, daß ich es nicht mehr wußte. Half nichts. Die Stagg mußte her.
    Ich wanderte bergab und ging zur
Röntgenabteilung. Petra war nicht da. In diesem Fall war mir das ausnahmsweise
recht. Ich zog meinen weißen Mantel an, um offizieller auszusehen und den
Anschein zu erwecken, ich wollte etwas Dienstliches von der Stagg. Dann schlenderte
ich durch die Gänge. Man konnte deutlich bemerken, was die Mitglieder des
Personals dachten, an denen ich vorüberkam. Wieder nichts zu tun, der Kerl.
    Die Tür zum Untersuchungszimmer der
Drei war angelehnt. Ich klopfte sanft und schob meinen Kopf hinein. Am
Schreibtisch saß Olga, die Stationsschwester und zog Kurven mit
verschiedenfarbigen Buntstiften.
    »Guten Tag, Schwester Olga«, sagte ich
heiter, »entschuldigen Sie, wenn ich hier in Erscheinung trete. Lassen Sie sich
bitte nicht stören. Wo kann ich denn das Fräulein Doktor finden?«
    Sie betrachtete verzückt ihre Arbeit,
legte dann die Kurve beiseite.
    »Fräulein Doktor? Sie ist gerade
weggegangen. Ich glaube, sie ist auf ihrem Zimmer. Wenn ich anrufen soll...?«
    »Oh, nein, bemühen Sie sich nicht. Ich
sehe mal nach — wollte nur einen Fall mit ihr besprechen. Vielen Dank,
Schwester Olga. Empfehle mich.«
    Das tat ich auch und stieg nach oben.
Ich war noch nie im Zimmer der Stagg gewesen, warum auch. Bei der Gelegenheit
stellte ich fest, daß meine Bude die erste links von der Treppe war. Dann kam
Pinkus, dann die Stagg. Bierstein lag am linken Ende des Ganges.
    Ich klopfte, ebenso sanft wie unten.
    »Herein, bitte!« jodelte es drinnen.
    Ich betrat das Gemach. Es hatte
lindgrüne Tapeten mit einigen skurrilen Bildern dazwischen. Gottlob keine Hände
und keinen Hasen von Dürer und keinen Kinderkopf von Rubens. Über die war ich
in den verschiedenen Kliniken schon so oft gefallen, daß ich sie nicht mehr
sehen konnte. Viel mehr Kleinigkeiten als bei mir standen herum, und die Stagg
dazwischen glich einer von ihnen.
    Sie saß in der Mitte des Zimmers an
einem ovalen Tisch mit Klöppeldecke, vor sich ein Buch, eine Blumenvase und
eine Pralinenschachtel, aus der sie gerade ein zartbraunes Gebilde entnommen
hatte. Ihr Haarknoten schwenkte herum.
    »Was für eine Freude! Treten Sie ein,
Doktor Bold!«
    »Ich bin schon drin«, antwortete ich.
»Dürfen Sie um diese Zeit noch Herrenbesuch empfangen?«
    »Schwester Anna kann es nicht mehr
mißbilligen. Mein Heim ist meine Burg. Setzen Sie sich. Wollen Sie einen
Likör?«
    Ich bin nicht so sehr für Likör, aber
wenn er nichts kostet, bekommt er mir. Ich nickte.
    Sie war noch im weißen Mantel. Sie riß
einen Wandschrank auf, der am Fußende ihres Bettes hing. Ich erkannte gleich
drei Flaschen auf einmal.
    »Cointreau? Benedictine? Flüssige
Aprikosen?«
    »Alle drei nacheinander.«
    »Fabelhaft! So halte ich es auch
immer.«
    Sie nahm zwei Gläser aus dem Schrank,
mußte sie aber erst zum Waschbecken tragen und ausspülen. Ich nahm das nicht
weiter übel.
    Der Cointreau roch milde nach
Apfelsinen.
    Er floß schwer und heiß hinunter.
    »Sehr lieb, daß Sie mich besuchen!«
    »Von jetzt an werden Sie mich nicht
mehr los«, sagte ich, auf die Flaschen deutend. »Ein Likörlager, nur wenige
Ellen von mir entfernt, und ich weiß nichts

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