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Die letzte Visite

Die letzte Visite

Titel: Die letzte Visite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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davon.«
    »Ich halte es sehr geheim«, sagte sie,
»sonst weiß es der Chef übermorgen. Obwohl ihm eigentlich bekannt sein müßte,
daß alles alternde, weibliche, medizinische Personal dem Trunke verfällt.«
    Ich wollte mir ein gegenteiliges
Kompliment abquälen, aber es fiel mir keins ein.
    »Sie sind doch um Himmels willen nicht
wegen etwas Fachlichem hier?«
    »Nimmermehr, Madame. Ich hab’ nur im
Untersuchungszimmer so getan aus Tarnungsgründen.«
    »Olga trinkt auch«, sagte die Stagg.
»Rotwein. Eine Rotweinvettel.«
    Sie ergriff den Benedictine und füllte
die Gläser. Wenn es so weiterging, würde ich bald nicht mehr wissen, was ich
gewollt hatte.
    Ich atmete den Kräuterdampf und
schluckte ihn hinunter.
    »Nein, es ist etwas anderes. Deswegen
ist mir auch lieb, daß ich hier mit Ihnen reden kann. Es hängt mit unserer
Gruselstory zusammen.«
    Ihre Augen wurden etwas größer und die
Nase spitzer.
    »Oh! Haben Sie was entdeckt?«
    »Das weiß ich noch nicht. Es kann sich
alles in Luft auflösen. Mir ist nur etwas eingefallen, was wir beide zusammen
beobachtet haben. Sie und ich.«
    »Sie und ich? Ich auch?«
    »Hm. Können Sie sich erinnern, wie wir
beide zusammen auf dem Turm waren? Kurz nachdem ich hier ankam?«
    »Das kann ich in der Tat.«
    »Wissen Sie auch noch, was wir da
gesehen haben! Hier an unserer Fensterfront?« Ich schwenkte die Hand an den
Fenstern entlang. Edeltraud bekam Falten über der Nase.
    »Hier an der — nein, ich weiß im
Augenblick nicht — was haben wir da gesehen?«
    »Hinter zweien dieser Fenster — sie
waren dunkel — erschien auf einmal ein Licht. Eine Taschenlampe. Es sah aus,
als suchte jemand was in einem dunklen Zimmer. Na? Keine Erinnerungen?«
    Sie nickte langsam, dann schneller,
dann heftig.
    »Doch! Doch, natürlich! Ich sehe es
deutlich vor dem inneren Auge!«
    »Fein. Hoffentlich ist es nicht nur der
Likör. Wir dachten noch, die Birne wäre kaputt, oder sonst was.«
    »Ja«, sagte sie mit Bestimmtheit,
»genau, ich weiß. Sie bemerkten etwas wie Gespensterhaus.«
    »Ganz unrecht hatte ich wohl auch
nicht, wie es scheint.«
    »Und was soll ich dabei tun — ausgenommen,
daß ich uns jetzt den Apricot einschenke?«
    Ich beugte mich über den Tisch und
sprach etwas leiser.
    Ich dachte an die Sprechanlage im
Durchleuchtungsraum.
    »Ich habe mir folgendes gedacht,
Staggin. Anna sagte uns damals, sie würde sich über den Dieb des Morphiums bald
Gewißheit verschaffen. Sie muß einen Verdacht gehabt haben. Wie nun, wenn sie
mit der Taschenlampe in der Hand in einem der Zimmer herumgesucht hat? In dem
des von ihr Verdächtigten?«
    »Moment! Erst muß ich was trinken!«
    Sie stürzte den Apricot hinunter. Ich
tat desgleichen. Das würde einen niedlichen Brummschädel geben.
    »Bedenken Sie, daß Anna in derselben
Nacht noch unter den Stein gekommen ist! Wenn der Betreffende wußte, daß sie
ihn in Verdacht hatte, mußte er so schnell wie möglich etwas inszenieren, um
sie zum Schweigen zu bringen. Hat er gemacht. Jetzt wollte ich das Zimmer
wiederfinden, in dem sie gesucht hat.«
    »Wenn Anna es gewesen ist.«
    »Schon. Aber möglich ist es doch, wie?
Ich hab’ mich auf den Turm gestellt, aber ich konnte es nicht rausfinden. Es
müßte hier auf unserer Seite sein, wenn mich nicht alle meine Sinne verlassen
haben. Ich kann mich irren. Vielleicht war es auch ein Stockwerk tiefer, oder
weiter nach drüben. Ich hatte aber den Eindruck, daß es hier gewesen ist. Und
deswegen wollte ich Sie bitten, mit mir den Turm zu erklimmen und es sich noch
mal anzusehen. Halten Sie was davon?«
    »Ich bin stets zu jedem Unsinn bereit«,
sagte sie mit Würde. »Es klingt reichlich abenteuerlich. Sie mußte doch
riskieren, jede Sekunde erwischt zu werden. Und außerdem — wenn sie nun den
Falschen in Verdacht gehabt hat?«
    Ich massierte mein linkes Ohr.
    Natürlich.
    Anna konnte meilenweit danebengeraten
haben. Ich mußte Edeltraud und mir eingestehen, daß die Sache reichlich
konstruiert war und nicht sehr logisch.
    »Andererseits — dagegen spricht, daß
sie so blitzartig aus dem Weg geräumt wurde. Jemand muß sie gefürchtet haben.«
    Anstelle einer Antwort erhielt ich
abermals einen Cointreau.
    Der vierte Likör insgesamt.
    »Wenn es so weitergeht, werden wir wohl
nicht mehr auf den Turm gelangen«, sagte ich. »Aber ein kleiner
Abendspaziergang tut uns ohne Zweifel gut. Und wenn wir uns über das Fenster
einigen, kann ich dem Kommissar einen Tip geben.«
    »Was ist, wenn es

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