Die letzte Visite
Doktor Bold?«
»Tja — ich würde sagen, es war noch
weiter nach rechts.«
»Und Sie, Fräulein Doktor?«
Edeltraud hob die Schultern, faßte an
ihren Haarknoten.
»Ich weiß nicht recht — man kann es
schwer sagen, es war damals dunkel — vielleicht das nächste...«
Nogees hob den Arm. Es war alles ganz
harmlos, und doch wurde es mir immer ungemütlicher. Die Lampe wanderte zum
rechten von Pinkus’ Fenstern.
Nogees sah mich an.
»Es ist ein verdammtes Kreuzworträtsel,
Herr Kommissar. Das oder das nächste. Mehr kann ich nicht sagen.«
Nogees lächelte nachsichtig. Er winkte
erneut. Der Kegel strahlte aus Edeltrauds Zimmer.
»Nun, bitte?«
Edeltraud war verwirrt.
»Ja, also — ich glaube, es war wie Herr
Bold sagt, dieses, oder das davor...«
»Also bei mir oder bei Ihnen«, sagte
Pinkus mit trockenem Ton.
»Bleibt nicht viel anderes übrig.«
»Was meinen Sie?«
»Eins von diesen beiden«, antwortete
ich. »Welches, kann ich nicht mehr sagen.«
Noch einmal hob der Kommissar die Hand.
Wir sahen das Licht weiter rechts, im vorletzten Fenster vor der Ecke. Immer
noch Edeltraud.
»So weit war es meines Erachtens
nicht«, sagte ich unaufgefordert.
»Demnach mit Sicherheit nicht im
letzten Fenster? Beim Herrn Doktor Bierstein?«
»Da bin ich sicher.«
»Ich glaube auch«, sagte Edeltraud auf
den Blick von Nogees.
»Es muß weiter vorn gewesen sein.«
Nogees ruderte ein paarmal kräftig mit
dem Arm. Dann wandte er sich um. Ich sah noch, wie die Lampe erlosch.
»Nun«, sprach Nogees leise, als
verriete er ein Geheimnis, das niemand sonst hören sollte, »wir müssen also
annehmen, daß die Oberschwester - immer vorausgesetzt, daß sie es wirklich
getan hat — entweder im Zimmer von Doktor Pinkus oder in dem von Fräulein
Doktor gesucht hat.«
»Oder in allen beiden«, schnarrte
Bierstein.
»Sie haben durchaus recht. Oder in
allen beiden. Das hilft uns also nicht sehr viel weiter. Aber vielleicht hilft
etwas anderes.«
Er richtete sich etwas höher auf.
»Jeder von Ihnen hat doch eben anhand der Fenster sein eigenes Zimmer erkannt —
oder nicht?«
Wir stimmten zu. Alle.
»Doktor Pinkus war so freundlich, uns
die Reihenfolge der Zimmer sofort anzugeben. Sie hätten das ohne Zweifel auch
gekonnt, wie?«
Er fixierte Bierstein und Edeltraud.
»Klar!« Der Oberarzt nickte kräftig.
»Jawohl«, antwortete Edeltraud. Ich
hatte das Gefühl, als wäre eine drohende Wolke über uns. Die nächste Frage galt
mir.
»Sie hatten damals Ihr Zimmer nicht
herausgefunden?«
»Nein. Ich war erst den zweiten Tag da.
Ich fand es kaum von
innen.«
»Das glaube ich Ihnen. Aber Sie,
Fräulein Doktor, Sie hätten doch zumindest gewußt, welches Zimmer in Betracht
kommen könnte, so, wie Sie es eben auch gewußt haben?«
»Ja, ja.«
»Hm.« Nogees’ Stimme schnurrte fast.
»Doktor Bold hat angegeben, Sie an diesem Abend gefragt zu haben, in wessen
Zimmer der Lichtschein wäre. Sie sagten, Sie hätten keine Ahnung. Wohlgemerkt,
keine Ahnung. Der Lichtschein muß in Ihrem Zimmer oder in dem benachbarten
gewesen sein. Es ist höchst unwahrscheinlich, daß jemand, der seit Monaten hier
arbeitet, die eigenen Fenster von außen nicht kennt. Einem Mann kann das
passieren. Einer Frau nicht. Sie sieht hinauf und hinunter, prägt sich jede
Blume und jeden Vorhang ein und weiß, wer links und wer rechts und am anderen
Ende wohnt. Aber Sie hatten keine Ahnung. Und daraus könnte man schließen, daß
Sie sehr genau wußten, woher der Lichtschein kam. Aus Ihrem Zimmer, Fräulein
Doktor.«
Ich schloß die Augen für einen Moment.
Es ist so, dachte ich. Er hat recht. Als ich sie wieder öffnete, standen wir
alle unverändert. Trotzdem schien der Abstand zwischen Edeltraud und uns größer
geworden zu sein.
Sie sah ratlos und hilfsbedürftig aus.
»Aber ich, aber Herr Kommissar — ich
wußte wirklich nicht — warum sollte in meinem Zimmer...«
Sie blickte der Reihe nach in unsere
Gesichter.
»Wir müssen gewisse Dinge in
Zusammenhang bringen«, fuhr Nogees sehr friedlich fort. »Doktor Bold erzählte
Ihnen gestern von seiner Idee mit den Fenstern. Nur Ihnen, Fräulein von Stagg.
Ist es so?«
Ich nickte.
»Er traf Sie hier oben nicht an. Dafür
wurde er ins Bassin gestoßen. Er hatte zwar vorher Schwester Maria im Park
getroffen und hinterher das Geräusch von Schritten gehört. Es konnte sehr gut
von Maria stammen, die wieder hinunterging. Denn Sie waren schon oben. Sie
warteten im Turm, wie Sie auf
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