Die letzte Wahrheit: Roman (German Edition)
die sie immer schon mal hatte gehen wollen.
Die Inneneinrichtung enttäuschte nicht. Viel dunkles Holz und angelaufenes Messing, das Menü mit Kreide auf eine Tafel über dem Tresen geschrieben und Kellner, die mit ihren Tattoos und ihren Zottelbärten aussahen, als wären sie gerade einem Indie-Film entsprungen. Jeremy saß mit dem Rücken zur Tür an dem kurzen, voll besetzten Tresen. Er trank ein Bier und plauderte mit dem Barkeeper, einem Mann mit eindrucksvollen Koteletten, als wären sie alte Freunde aus Studentenzeiten. Es war Jeremy schon immer leichtgefallen, mit Fremden ins Gespräch zu kommen.
» Hi « , sagte Kate.
Jeremy drehte sich um und strahlte sie an. Er sprang von seinem Barhocker und bot ihn Kate mit galanter Geste an. Sie nahm das Angebot an, weil alles andere sie nur verlegen gemacht hätte. Der Barmann wirkte enttäuscht, nicht so sehr über die Unterbrechung, sondern weil es Kate gewesen war, die sie gestört hatte. Als hätte er erwartet, dass Jeremy mit jemand Interessanterem verabredet gewesen war. Kate schaute an sich herunter und betrachtete ihren Aufzug: ein alter Pullover, Jeans und praktische Clogs. Sie hatte ihr Haar im Nacken zusammengebunden, und geschminkt war sie auch nicht. Einer wie Jeremy hatte etwas Besseres verdient, aber es war ja schließlich kein Date. Und mehr hatte Kate zurzeit nicht zu bieten.
» Was darf ich Ihnen servieren? « , fragte der Barkeeper ein bisschen missmutig.
» Ein Glas Weißwein, bitte « , sagte Kate, obwohl sie eigentlich gar keine Lust auf Alkohol hatte.
» Ich bringe Ihnen die Karte. «
» Ach, ich brauche keine Karte « , sagte Kate. » Suchen Sie mir einen aus. «
» Dann kriegen Sie den teuersten « , sagte der Barmann mit einem Augenzwinkern in Jeremys Richtung.
Der Barhocker neben Kate wurde frei, und Jeremy nahm Platz, während der Barkeeper Kate ein Glas Wein einschenkte. Sie warteten schweigend, bis er wieder weg war.
» Warst du heute in der Kanzlei? « , fragte Kate mit einer Geste auf Jeremys Jeans und modisches Freizeithemd.
» Ich habe früh Feierabend gemacht. « Er schüttelte den Kopf und trank einen großen Schluck Bier. » Ich brauchte Luft. Zeit zum Nachdenken. «
» Worüber? «
» Ach, über alles Mögliche « , sagte er und schaute in sein Glas, als müsste er sich sammeln, um etwas Unangenehmes auszusprechen. » Hör zu, Kate, ich weiß, dass es längst überfällig ist, aber ich möchte mich für das entschuldigen, was zwischen uns passiert ist. Ich hätte es nie dazu kommen lassen dürfen. «
Kate spürte, wie Wut in ihr aufstieg. Sie konnte es nicht fassen, dass Jeremy ihr jetzt damit kam.
» Das kann nicht dein Ernst sein. «
Jeremy sah sie verwirrt an. » Wie meinst du das? «
» Du bestellst mich hierher, mitten in dem Alptraum, den ich gerade durchmache, um dich für den einen Abend– die eine Stunde – zu entschuldigen, die wir vor zehn Jahren miteinander verbracht haben? «
Jeremy wirkte gekränkt. Er glaubte tatsächlich, es würde sich immer alles um ihn drehen.
» Ich wollte nur, dass du weißt, dass ich die volle Verantwortung dafür übernehme « , sagte er. » Vor allem jetzt ist es mir wichtig, dass du weißt, dass es nicht deine Schuld war. «
» Meine Schuld? « Kate lachte fast hysterisch. Das war vollkommen verrückt. » Also gut, ich weiß es. Kann ich jetzt gehen? «
Jeremy legte die Stirn in Falten, dann zog er einen zusammengefalteten Zettel aus seiner Brusttasche und hielt ihn Kate hin.
Sie nahm ihn nicht. » Was ist das? «
» Das war heute Morgen auf insidethelaw.com « , sagte er, während Kate den Zettel widerstrebend nahm. » Ich lasse gerade überprüfen, woher das kommt, aber das ist leichter gesagt als getan. «
Kate faltete den Zettel auseinander und las. Jeremy Firth von Slone & Thayer legt sie alle flach und kurbelt dann ihre Karriere an. Kate schloss die Augen. Sie wollte nicht weiterlesen.
» Du wirst nicht beim Namen genannt « , fuhr Jeremy fort. » Zum Glück wird überhaupt niemand außer mir beim Namen genannt. Und vieles, was da steht, stimmt gar nicht. Es ist die Rede von Sex in Konferenzräumen und Aufzügen, und dass das über Jahre so gegangen ist. Aber ich glaube, es steht genug drin, um dahinterzukommen, dass es um dich geht. «
» O Gott « , sagte Kate mit Tränen in den Augen. » Was sagt Vera denn dazu? «
» Sie weiß nichts davon. « Jeremy schüttelte den Kopf. » Jedenfalls noch nicht. Irgendjemand wird es ihr früher oder später stecken,
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