Die letzte Wahrheit: Roman (German Edition)
Beatrice sie beobachtete. Ohne hinzusehen, wusste sie, dass ihre Brauen hochgezogen waren. Die Leute redeten über Jeremy und über alles, was er tat und mit wem er es tat. So war es schon immer gewesen. Mal hatte er jemandem zu viele Fälle zugeschustert, mal hatte er zu häufig mit jemandem hinter verschlossenen Türen zu Abend gegessen. Manches davon mochte sogar stimmen– aber das meiste war an den Haaren herbeigezogen.
In dem Moment vibrierte Kates Handy und wanderte geräuschvoll über den Schreibtisch. Eine weitere SMS . Mit angehaltenem Atem beugte sie sich vor, um einen Blick auf das Display zu werfen.
Amelia ist nicht gesprungen. Sie wissen das, und ich weiß es auch.
Kate schlug sich eine Hand vor den Mund und kämpfte mit den Tränen.
» Gott, was ist passiert? « , fragte Jeremy.
Er kam ins Zimmer und nahm, ohne zu zögern, das Handy vom Schreibtisch. Mit zusammengezogenen Brauen las er die SMS .
» Wer hat das geschickt? «
Dass diese SMS kamen, war schon schlimm genug. Aber dass Jeremy sie jetzt auch noch ansah, als wäre sie ein waidwundes Tier, das war einfach zu viel.
» Keine Ahnung « , sagte Kate und versuchte, ihre Tränen zu unterdrücken. » Es ist schon die zweite SMS . Eine kam vor ein paar Minuten. Ich nehme an, da macht sich jemand einen Spaß. «
» Spaß? Das ergibt doch keinen Sinn « , entgegnete Jeremy skeptisch. » Glaubst du nicht, da könnte was Wahres dran sein? «
» Nein, das glaube ich nicht. Die Polizei… « Kate schüttelte den Kopf. Trotz allem hatten sich ihre Augen mit Tränen gefüllt. Sie schaute auf ihren Schreibtisch und hoffte, dass niemand es bemerkte. Das Schlimmste war, dass sie noch gar nicht daran gedacht hatte, dass die SMS eine echte, wahrheitsgetreue Nachricht sein könnte. Sie war sofort davon ausgegangen, dass sich da jemand einen üblen Scherz mit ihr erlaubte. » Aber ich– ich weiß es einfach nicht. «
» Tja, die Nummer ist unterdrückt « , sagte Jeremy, der immer noch Kates Handy betrachtete. » Wir sollten zumindest versuchen herauszufinden, wer dir diese SMS geschickt hat. « Er drehte sich um und hielt Beatrice das Handy hin. » Würden Sie Kates Handy bitte zu Duncan in der IT -Abteilung bringen? Er kann bestimmt den Absender ermitteln. «
» Gute Idee « , sagte Beatrice, nahm das Handy entgegen und machte sich auf den Weg. » Unterdrückte Nummer, haha. «
Jeremy schaute Beatrice nach, dann senkte er den Blick. Kate hatte das Gefühl, er hätte sich am liebsten auch aus der Affäre gezogen.
» Danke. Aber ich möchte dich nicht mit dieser Sache von der Arbeit abhalten. Es hat bestimmt nichts zu bedeuten. Musst du nicht zum Gericht? « , fragte sie, um ihm einen eleganten Abgang zu verschaffen. » Daniel hat mir erzählt, dass die richterliche Anordnung abgeschmettert wurde. Victor ist sicher höchst zufrieden. «
» Victor höchst zufrieden? Na ja, so weit würde ich nicht gehen « , sagte Jeremy und blickte auf. Die Morgensonne, die durch die Fenster hinter Kate fiel, ließ seine Augen wässrig erscheinen. » Nur damit du es weißt: Ich habe mich deiner Auffassung angeschlossen, dass ein Antrag auf eine Aufhebungsverfügung unsinnig ist. Du hast deinem Mandanten den richtigen Rat gegeben. Ich bin der Überzeugung, dass wir uns durch ein Beharren auf eine Aufhebungsverfügung sogar eine Geldstrafe einhandeln können. Aber Daniel… « Jeremy schüttelte den Kopf. » Du kennst ihn ja, er ist wie ein kleiner, kläffender Terrier. Er hat mich mürbe gemacht. Allerdings habe ich ihm gesagt, falls die Geldstrafe fällig wird, muss er die aus eigener Tasche bezahlen. Vielleicht war das sogar der eigentliche Grund dafür, dass ich ihm schließlich grünes Licht gegeben habe. Außerdem sind wir letzte Woche umgezogen. Ich war einfach erschöpft. «
Jeremy hatte Daniel von Anfang an nicht leiden können, schon als er als Student ein Praktikum in der Kanzlei gemacht und Jeremy ständig am Rockzipfel gehangen hatte. Unverhohlener Ehrgeiz war eine Charaktereigenschaft, die Jeremy nicht schätzte, vielleicht, weil er sie bei sich selbst so gut zu verbergen wusste. Aber seine Verachtung für Daniel schien noch einen anderen Grund zu haben. Welcher das war, darüber wollte Kate im Moment lieber nicht nachdenken, aus Angst, wohin das führen könnte. Außerdem konnte es ja auch sein, dass sie sich das alles nur einbildete. Jedenfalls würde Daniel vorerst in der Kanzlei bleiben. Ungeachtet Jeremys persönlicher Meinung war Daniel ein
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