Die letzte Wahrheit: Roman (German Edition)
zumindest sind die Arbeitszeiten human. Vor allem für eine Mutter. Ich weiß gar nicht, wie Sie das alles geschafft… «
Sie brach abrupt ab, als wäre ihr plötzlich bewusst geworden, welcher Fauxpas ihr um ein Haar unterlaufen wäre. Denn Kate hatte weiß Gott nicht alles geschafft. Ihre Tochter war tot, was kaum für Kates Qualitäten als Mutter sprach. Adele verschränkte die Finger und rutschte auf ihrem Stuhl hin und her.
» Also « , sagte sie, offenbar bemüht, möglichst schnell das Thema zu wechseln. » Bei welcher Kanzlei sind Sie denn? «
» Slone & Thayer « , sagte Kate, während sie krampfhaft überlegte, unter welchem Vorwand sie Adele endlich loswerden konnte. Wir müssen uns das nicht antun, hätte sie am liebsten gesagt. Am besten, Sie gehen wieder. Sie wünschte, ihr Telefon würde klingeln oder der Rauchmelder anspringen. » Ich bin Partnerin dort, Abteilung Zivilrecht. «
» Ah, Slone & Thayer. Ja, das ist eine große Kanzlei. Es muss… interessant sein, dort zu arbeiten. « Adele verzog das Gesicht. Die Kanzlei stand in dem Ruf, auf gnadenlosen Wettbewerb zwischen den Mitarbeitern zu setzen. » Ein paar von meinen Kommilitonen haben gleich nach dem Examen dort angefangen. Die Kanzlei scheint eine ziemlich interessante Unternehmenskultur zu haben. Mit einigen Anwälten habe ich immer noch Kontakt. Vielleicht kennen Sie sie ja sogar? «
» Die Kanzlei ist riesig « , sagte Kate. Noch weniger Lust, als dieses Gespräch zu führen, hatte sie dazu, mit Adele das Namensspiel zu spielen. » Allein hier in New York sind wir ein paar hundert Anwälte. Wenn Ihre Freunde keine Zivilrechtler sind, kenne ich sie bestimmt nicht. «
» Natürlich. « Adele lächelte und klimperte mit den Wimpern. Sie hatte verstanden. » Ich sollte mich sowieso allmählich verabschieden. Sie können uns die Fotos ja zuschicken, sobald Sie Zeit haben. Aber da wäre noch etwas. Einige Schüler würden gern in Amelias Namen ein Hilfsprogramm für Selbstmordgefährdete einrichten. Es könnte ein wichtiger Schritt in ihrem Heilungsprozess sein. Wir hatten gehofft, dass… «
» Nein « , fauchte Kate schärfer als beabsichtigt.
» Nein? « Adele wirkte erst verblüfft, dann verwirrt, dann verärgert. » Ich verstehe nicht recht. «
» Tut mir leid, ich wollte Sie nicht… Aber ich… « Kate zögerte. Was konnte sie sagen, außer der Wahrheit? » Ich bin mir nicht sicher, dass Amelia sich das Leben genommen hat. «
» Wie bitte? « Adele hob schützend eine Hand an den Hals. Sie wirkte ängstlich.
» Nein, nein. « Kate wedelte mit den Händen. Sie hätte den Mund halten sollen. Dass der Elternbeirat von ihrem Verdacht erfuhr, war das Letzte, was sie gebrauchen konnte. Die Polizei würde sich nicht unbedingt hilfsbereiter zeigen, wenn plötzlich eine Horde aufgeregter Eltern bei ihnen an die Tür klopfte. » Ich meine, es könnte ja auch ein Unfall gewesen sein. Es gibt immer noch ein paar offene Fragen, das ist alles. Wenn Sie das mit dem Hilfsprogramm also noch zurückstellen könnten, bis diese Fragen beantwortet sind, wäre ich Ihnen sehr dankbar. «
» Was denn für Fragen? « , fragte Adele mit großen Augen. So leicht würde sie sich nicht abspeisen lassen.
» Das kann ich Ihnen nicht… die Polizei… ich bin sicher, dass Sie das verstehen « , sagte Kate in der Hoffnung, dass Adele sie nicht weiter bedrängen würde. Die Frau sah sie jedoch immer noch durchdringend an. Sie würde nicht lockerlassen, ehe Kate ihr wenigstens einen Brocken hinwarf. » Heute ist etwas passiert. Womöglich hat es ja auch gar nichts zu bedeuten, aber… «
» Vielleicht doch « , führte Adele den Gedanken fort. Ihre Augen waren feucht, als sie auf dem Tisch herumschaute, als stünde dort etwas geschrieben. » Selbstverständlich, ja, wenn das so ist. «
» Dann verstehen Sie also? « Kate konnte es kaum glauben, dass Adele nicht weiterbohrte. » Sie werden das mit dem Hilfsprogramm also noch zurückstellen? «
» Ja, ja, natürlich. Geben Sie uns einfach grünes Licht, wenn Sie so weit sind. « Adele stand abrupt auf und ging zur Tür. » Danke, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben, Ms Baron « , sagte sie, als sie die Tür öffnete. Dann drehte sie sich noch einmal um, schüttelte Kate die Hand und lächelte geschmeidig. » Ihre Tochter war ein wunderbares Mädchen, Ms Baron. Ich habe sie Anfang des Jahres kennengelernt, als sie sich für das Erntedankfest eingetragen hat. Sie war so höflich, so engagiert. Sie sind
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