Die letzte Wahrheit: Roman (German Edition)
zischte ich. » Wenn du so weitermachst, fliegen wir gleich hier raus. «
» O Gott, wer ist es? « Sylvia strahlte mich an. » Amelia Baron, du bist endlich zum ersten Mal verliebt und hast es noch nicht mal nötig, mir davon zu erzählen? Hey, ich bin deine beste Freundin. Du bist moralisch verpflichtet, mir so was mitzuteilen. « Sie wirkte eher aufgeregt als sauer. » Ich verlange, dass du mir alles haarklein erzählst, und zwar von Anfang an. Dann vergebe ich dir vielleicht. Er ist älter als du, stimmt’s? O Gott, er hat doch nicht etwa eine Glatze? «
Und deswegen war Sylvia immer noch meine beste Freundin. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass ich mich verliebte. Die allermeiste Zeit drehte sich zwar alles nur um sie, aber ansonsten war sie die allerbeste Freundin auf der Welt.
» Ach, hier bist du, Baby! « , ertönte eine Stimme hinter uns, ehe ich etwas sagen musste.
Sylvias Miene hellte sich auf, als sie sich umdrehte und Ian Greene durch die volle Tea Lounge auf uns zukommen sah. Er trug enge Jeans und ein eng anliegendes schwarzes T-Shirt, das aschblonde Haar zu einer Beckham-Welle gegelt. Und er hatte ein paar seltsame, europäische Sportschuhe an, die aussahen wie Bowlingschuhe. Es war das Outfit eines englischen Ihr-könnt-mich-alle-mal-Rockstars oder das eines kompletten Versagers. Beides war möglich. Ian stand es gut. Ich betrachtete diesen gutaussehenden Jungen und wartete auf ein Kribbeln im Bauch. Nichts. Ich konnte sehen, dass er ein scharfer Typ war, das sah jeder. Aber ich sprang nicht darauf an.
Ian und ich waren uns am vergangenen Wochenende schon wieder auf einer gemischten Party begegnet. Sie hatte bei einem der Jungs zu Hause stattgefunden und war noch viel verrückter gewesen als die letzte– ich war erst kurz vor zwei wieder daheim gewesen, als meine Mom zum Glück schon geschlafen hatte. Es waren viel härtere Drogen im Spiel gewesen, und die Leute waren praktisch auf den Fluren übereinander hergefallen. Auch auf dieser Party hatten Ian und ich nicht miteinander geredet. Einmal hatte ich ihn mit Zadie zusammen gesehen, aber soweit ich das erkennen konnte, war er auf der Flucht vor ihr. Hinterher hatten wir auch nicht über die Party geredet. Eigentlich hatten wir überhaupt noch nie über die Clubs gesprochen. Es war ein unausgesprochenes Geheimnis zwischen uns, von dem wir Sylvia nichts erzählen würden. Und jetzt hing es wie ein seltsames Spannungsfeld zwischen uns. Es gefiel mir überhaupt nicht, etwas über Sylvias Freund zu wissen, das sie nicht wusste. Wahrscheinlich war es für sie ein Glück, dass ich zu den Partys ging und ihn im Auge behalten konnte, vor allem, wo Zadie dauernd um ihn rumscharwenzelte, aber trotzdem kam ich mir vor wie eine Verräterin. Das würde Sylvia mir nie verzeihen, da war ich mir ganz sicher.
Ian legte Sylvia einen Arm um die Schultern und küsste sie. Selbst dabei wirkte er nervös. Als sie sich voneinander lösten, strahlte Sylvia ihn an, als würde sie gleich in Flammen aufgehen.
» Ich hab dich überall gesucht « , sagte Ian zu Sylvia. Er nickte dem Drehbuchautor am Nebentisch mannhaft zu, drehte, ohne zu fragen, den freien Stuhl an dessen Tisch um und setzte sich rittlings darauf. » Ich dachte, wir wollten heute Nachmittag in den Park gehen und ein paar Schnappschüsse machen. «
Sylvia lächelte mich an. » Er will mich immer fotografieren « , sagte sie mit gespielter Bescheidenheit. » Ist das nicht süß? « Sie wandte sich wieder an Ian. » Hast du nicht gesagt, du hättest Training bis vier? Ich wollte dir in ein paar Minuten ’ne SMS schreiben. Amelia muss sowieso gleich los. «
» Wirklich? « , fragte Ian mit Unschuldsmiene. » Ich wollte Sylvia nur ein bisschen aufziehen. Ich will auf keinen Fall stören. Wir beide können uns ja auch später treffen. «
Er versuchte sich gut mit mir zu stellen. Für Sylvia hoffte ich, dass er das nicht tat, weil er dachte, ich hätte ihn in der Hand.
» Nein, nein, ich muss wirklich los « , sagte ich mit einem Blick auf meine Uhr. Ich stand auf, sammelte meine Sachen zusammen und bot Ian meinen Platz an. » Ich muss um vier wo sein. «
Sylvia legte kokett den Kopf schief, als Ian sich zu ihr setzte. Sie hatte ein Bein über das andere geschlagen und ließ es rhythmisch wippen. Ihr restlicher Körper wirkte plötzlich wie aus Gummi. Ian konnte die Augen auch nicht von ihr losreißen. Die beiden so zu sehen, beruhigte mich ein bisschen. Ich hatte noch nie erlebt, dass Ian
Weitere Kostenlose Bücher