Die letzte Wahrheit: Roman (German Edition)
auch diese weiße Strähne ganz aus der Nähe. Sie bildete einen geraden Streifen in ihrem schwarzen Haar. Als hätte sie mit einem Lineal Bleichmittel aufgetragen.
» Kannst du aufhören, du zu sein? « , fragte Zadie leise. Ihr Gesicht war direkt vor meinem. So dicht, dass wir uns hätten küssen können. » Ich meine, wenn du das könntest, das wäre echt super. Wenn nicht, wirst du einfach damit leben müssen, dass ich dich nicht ausstehen kann. «
In dem Moment kam Dylan den langen Flur herunter.
» Da bist du ja! « Sie strahlte. Mein Herz machte einen Satz, weil ich dachte, sie redete mit mir. Aber sie wandte sich an Zadie. » Wir haben keine Lust mehr zu warten, Zad. Ein paar haben ihren Eltern Bescheid gesagt, dass sie gleich nach Hause kommen. «
» Okay « , sagte Zadie, ohne den Blick von mir abzuwenden. » Ich komme. Aber sorg dafür, dass Crazy Eyes weit von mir entfernt sitzt. Die ist so perfekt, dass sie stinkt, da muss ich nur kotzen. «
Damit drehte sie sich um und stampfte den Flur hinunter. Ich hielt den Blick auf den Teppichboden geheftet, als ich ihr folgte. Ich fürchtete, wenn ich Dylan anschaute, würde ich in Tränen ausbrechen. Ich hielt das nicht mehr aus. Ich konnte Zadies Hass nicht länger ertragen, nur um in Dylans Nähe zu sein.
» Tut mir leid, dass ich zu spät gekommen bin « , murmelte ich, als ich an Dylan vorbeiging. » Ich wollte euch nicht warten lassen. Ich hab unterwegs zufällig jemand getroffen und… «
» Schsch « , machte Dylan und hielt sich einen Finger an den Mund. Sie beugte sich vor, als wollte sie sich vergewissern, dass Zadie weg war.
» Warum hat sie mich in den Club reingelassen, wenn sie mich dermaßen hasst? « , fragte ich. » Das ist mir echt zu hoch. «
» Reingelassen? « , fragte Dylan leise. Sie wirkte verwirrt. » Zadie hat dich ausgesucht. «
» Mich ausgesucht? Was soll das heißen? «
» Dylan! « , schrie Zadie. » Komm jetzt, verdammt! «
Dylan schaute mich an und lächelte– ruhig, freundlich. » Wir könnten sie einfach ignorieren. « Ihr Lächeln wurde verschmitzt. » Aber ich fürchte, heute würde sie zur Mörderin. «
» Das will ich lieber nicht riskieren. « Ich schüttelte den Kopf und schaute den Flur hinunter. Ich hatte das Gefühl, als würde ich zum elektrischen Stuhl geführt. Ich kaufte Dylan nicht ab, dass Zadie mich ausgesucht hatte, aber das war nicht der richtige Moment, um der Sache auf den Grund zu gehen. » Ich würde bestimmt ihr erstes Opfer sein. «
» Ja « , sagte Dylan amüsiert. » Wahrscheinlich. «
Dann stand sie einfach eine ganze Weile da und lächelte mich an. Mit ihrer glatten Haut, den hohen Wangenknochen und den dicken, rotbraunen Locken war Dylan das schönste Mädchen, das ich je gesehen hatte. Ohne Makel. Ich hatte das Gefühl, wenn ich sie noch länger so anschaute, könnte sie– könnte ich– zerspringen.
Dylan schenkte mir ein letztes Lächeln, dann drehte sie sich um und ging in die Richtung, in die Zadie verschwunden war. Als ich ihr nachschaute, fühlte ich mich richtig im Stich gelassen. Aber nach ein paar Schritten kam sie zurück und flocht ihre Finger in meine.
Ich konnte den Blick nicht von unseren ineinander verschränkten Fingern abwenden, als sie mich den dunklen Flur hinunterführte. Nach einer Weile hörte ich am anderen Ende Stimmen. Aus einer Tür fiel Licht, und ich merkte, dass sich dahinter eine ganze Menge Leute bewegten. Ich wünschte, der Flur würde nie enden. Ich wollte Dylans Finger nie wieder loslassen.
Vor dem Lichtstreifen am Ende des Flurs ließ Dylan plötzlich meine Hand los und blieb wie angewurzelt vor mir stehen. Sie stand mit dem Rücken zu mir, die Arme vor sich gekreuzt.
» Also, das Spiel « , hörte ich Zadie sagen.
» Worauf warten wir? « , flüsterte ich Dylan ins Ohr. Zadie würde ausrasten, wenn sie feststellte, dass ich immer noch hier draußen war.
Dylan antwortete nicht. Sie drehte sich ganz langsam um. Ihr Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. Ich spürte ihren Atem. Ich spürte mein Herz pochen. Ich war mir sicher, dass Dylan es auch spürte. Aber das einzige Geräusch war Zadies auf- und abschwellende Stimme.
» Und das ist kein Spiel für Verklemmte oder Verkrampfte « , sagte Zadie. » Wer also was zu sagen hat, sagt es jetzt oder hält für immer die Klappe. «
Dann berührten Dylans Lippen meinen Mund. Ihre Lippen waren so weich und zart, und ich erwiderte ihren Kuss. Kein Vergleich zu den rauen, salzigen
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