Die letzte Wahrheit: Roman (German Edition)
einer Erklärung. «
In ihrem kleinen Arbeitszimmer im ersten Stock setzte Kate sich auf ihren Schreibtischstuhl. Der Bildschirm vor ihr war schwarz.
» Also gut « , sagte sie und bedeutete Lew, er solle anfangen. Ihr war übel. » Bringen wir’s hinter uns. «
Mit einer Mausbewegung erweckte er den Bildschirm zum Leben. Und da war Amelia zu sehen, nur bekleidet mit pinkfarbener Reizwäsche. Sie beugte sich in lasziver Pose über ihren Schreibtischstuhl, den Hintern der Kamera zugewandt.
» O mein Gott! « , stöhnte Kate und hielt sich die Augen zu. Einen Moment überlegte sie, ob sie die Augen noch einmal aufmachen sollte, um sich zu vergewissern, dass sie richtig gesehen hatte. Aber sie brachte es nicht fertig. Das aufreizende Mädchen, das da vor der Kamera den Vamp spielte, war Amelia. Daran bestand kein Zweifel. Kate schüttelte sich, um das Bild aus dem Kopf zu bekommen. » Machen Sie das weg! Bitte, machen Sie das weg! «
Lew beugte sich vor und schaltete den Monitor aus.
» Was war das? « , schrie Kate.
» Der Blog, auf dem sie gepostet hat « , sagte Lew bedrückt. Das Ganze schien ihm ausgesprochen peinlich zu sein.
» Amelia hat so ein Foto von sich gemacht und irgendwo ins Netz gestellt, wo jeder es sehen konnte?! « , schrie Kate, als hätte Lew ihre Tochter dazu angestiftet.
» Nicht jeder « , sagte Lew sanft. » Man muss schon den Namen kennen, den sie in dem Blog benutzte, um sie zu finden. «
Kate drehte sich der Magen um, sie würde gleich in die Tastatur kotzen. War ihre Tochter eine heimliche Prostituierte gewesen oder was? Eine Exhibitionistin? Was in aller Welt konnte Amelia dazu veranlasst haben, sich halbnackt zu fotografieren und die Fotos dann auch noch ins Netz zu stellen? So etwas… so etwas war einfach nicht normal.
» Wie viele Leute haben das gesehen? Kann man das feststellen? «
Vielleicht war es ja nicht ganz so schlimm, wie es aussah. Vielleicht hatten es nur zehn, fünfzehn Leute gesehen. Das wäre zwar auch nicht angenehm, aber es wäre nicht gleich so, als hätte Amelia für einen Escortservice gearbeitet. Vielleicht machten junge Leute heutzutage solche Sachen. Vielleicht war das die neueste Version von Safer Sex: Man zieht sich online aus, damit man es im richtigen Leben nicht zu tun braucht. Nicht, dass Kate das tatsächlich geglaubt hätte. An diesem Foto, das sich in ihre Erinnerung eingebrannt hatte, war nichts Gutes.
» Es gibt 1288 Kommentare. «
» Wie bitte? « Kate hatte ganz vergessen, worüber sie eben geredet hatten.
» Sie wollten wissen, wie viele Leute das Foto gesehen haben « , antwortete Lew zögernd. » So viele Leute haben ›gefällt mir‹ angeklickt, einige haben auch Kommentare dazu geschrieben. «
» Mehr als tausend? « , fragte Kate mit weit aufgerissenen Augen.
» Hierbei– was auch immer es sein mag– ging es um mehr als nur Amelia. « Lew überging ihre Frage, wahrscheinlich, weil die Antwort lautete, dass noch mehr Leute das Foto gesehen hatten. » In dieser Gruppe sind mehr als zwei Dutzend Mädchen. «
» Gruppe? «
» Birds of a Feather Flock Together. Wie ich das sehe, gibt es da eine Art Rangordnung, es wirkt fast wie ein Spiel. «
» Ein Spiel? Mit Nacktfotos? Gott, das ist ja krank. « Plötzlich packte Kate die Wut. » Wir müssen diese Mädchen finden. Wir müssen ihre Eltern darüber informieren, was die treiben. Das geht doch nicht. Das war garantiert nicht Amelias Idee. Irgendjemand hat sie da reingezogen. «
» Ganz Ihrer Meinung. Aber ich fürchte, alle Namen, die wir hier finden, sind Decknamen. Haben Sie vielleicht ein Jahrbuch von der Schule, anhand dessen wir die Mädchen identifizieren könnten? «
» Es gibt ein Meetbook im Internet mit Fotos von allen Schülern. «
Als Kate ihren Laptop aus dem Schlafzimmer holte, um die Fotos zu vergleichen, ging ihr der Gedanke nicht aus dem Kopf, dass Amelia sich am Ende doch selbst das Leben genommen haben könnte. Wenn sie in so eine Sache hineingeraten war und Nacktfotos von sich ins Netz gestellt hatte, hatte sie sich dafür womöglich so sehr geschämt, dass sie damit nicht mehr hatte leben können.
Als sie in ihr Arbeitszimmer zurückkam, telefonierte Lew gerade.
» Ja, in Ordnung « , sagte er ruhig und rieb sich die Stirn. » Ich komme so bald wie möglich. «
Seine Kiefermuskeln waren angespannt, als er auflegte.
» Was ist los? « , fragte Kate.
Sie hatte die ganze Zeit gefürchtet, er könnte einen Anruf bekommen, man könnte ihn von dem Fall
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