Die letzte Wahrheit: Roman (German Edition)
alles schon in natura kannte. Aber Ian Greene hatte bestimmt einen besseren Geschmack. Zadie war so ordinär.
Gott, warum hatte ich das überhaupt gesagt? Es war schon schlimm genug, dass ich wusste, dass Ian bei Wolf’s Gate war. Jetzt wusste ich noch etwas über ihn– zumindest vermutete ich es–, was ich wirklich nicht wissen wollte. Ich war mir einfach so sicher gewesen, dass er Sylvia nicht betrog, und hatte es für eine ganz harmlose Bemerkung gehalten. Ich dachte, wir würden uns darüber kaputtlachen, was für eine dumme Gans Sylvia war, und fertig. Nie im Leben hätte ich damit gerechnet, dass er Sylvias Verdacht mehr oder weniger bestätigen würde.
Es wäre eigentlich ein Grund mehr gewesen, den ganzen Blödsinn mit den Fotos abzublasen. Aber ich hatte mehr und mehr das Gefühl, dass ich es tun musste. An keinem der Gründe, die dafür sprachen, hatte sich etwas geändert.
» Sylvia macht es bestimmt nichts aus, wenn du die Fotos schießt « , sagte ich. Schon wieder eine Lüge. Es würde ihr garantiert eine Menge ausmachen, wenn sie Wind davon bekam. Ich verließ mich einfach darauf, dass sie es nie erfahren würde. » Ich bin lesbisch, Ian. Ich steh nicht mal auf Jungs. «
Lesbisch. Mir war ein bisschen schwindlig. Es war das erste Mal, dass ich es laut ausgesprochen hatte. Und Dylan und ich taten, was wir taten, doch wir redeten nicht darüber. Jedenfalls nicht auf diese Weise.
» Ach so. « Ian bewegte den Kopf ein bisschen nach hinten, dann lächelte er verlegen. » Verstehe. Ich meine, schön. Freut mich für dich. «
Jetzt war die Katze aus dem Sack. Ich hatte es jemandem gesagt– ausgerechnet Ian Greene–, und die Welt war nicht untergegangen. Mein Kopf war nicht explodiert, und Ian war nicht in einer Rauchwolke verschwunden. Es war unglaublich. Ich fühlte mich, als könnte ich fliegen.
» Sylvia weiß es noch nicht, also erzähl’s ihr bitte nicht. « Vielleicht würde ihr das mit den Fotos ja tatsächlich nichts ausmachen, wenn sie erfuhr, dass ich lesbisch war. Ich wusste nicht, wie sie reagieren würde. » Ich erzähle es ihr, sobald sich die richtige Gelegenheit ergibt. «
» Ja « , sagte er. » Ja, natürlich. «
» Bitte, Ian, ich muss das machen « , sagte ich und versuchte, jeden Gedanken an Sylvia zu verdrängen. Denn ich war nicht nur dabei, das hier mit Sylvias Freund durchzuziehen, ich verlangte auch noch von ihm, dass er sie anlog. Doch umgekehrt hätte Sylvia es wahrscheinlich genauso gemacht. Sie würde alles tun, um einen Jungen, den sie liebte, zu halten. Das machte es nicht besser, aber es fühlte sich nicht mehr so schlimm an. » Und das geht nur mit deiner Hilfe. «
Ian holte tief Luft und atmete mit geblähten Wangen aus. Dann schüttelte er den Kopf und betrachtete den Teppichboden. Offenbar hatte selbst Ian, der Weiberheld, seine Grenzen.
» Also gut « , sagte er schließlich. Er wirkte alles andere als begeistert. » Aber dafür bist du mir was schuldig. «
Amelia
18. OKTOBER, 12:02
AMELIA
hi! wie gehts?
BEN
deine neue taktik?
AMELIA
du bist sauer. was hab ich dir getan?
BEN
nix
AMELIA
willst du mich jetzt anschweigen?
BEN
ok, du hast viel zu tun, das kapier ich… du hast jetzt ne freundin, aber es ist nicht schön fallen gelassen zu werden wie ne heiße kartoffel
AMELIA
stimmt. sorry. wollte dir nicht wehtun. freunde?
BEN
ok. freunde
18. OKTOBER, 12:16
AMELIA
noch ne frage: was ist mit dem typen vom fußball?
BEN
danke d. nachfrage. der hat ne freundin in nem »internat«
AMELIA
angst sich zu outen?
BEN
100 pro!! hast dus sylvia schon gesagt?
AMELIA
hab ihr gesagt, wir müssten reden, aber sie hatte keine zeit wg. ian
BEN
hast dus deiner mom gesagt?
AMELIA
noch nicht… ist erst spät nach hause gekommen
BEN
du musst es jdm erzählen. dann gehts dir besser
AMELIA
wann sehn wir uns? dachte, du kommst nach NY ? hoffentlich bald! muss dich sehen! sonst glaub ich langsam, dass dus nicht willst
BEN
bin an der sache dran. du erfährst es als erste. xoxo
AMELIA
xoxoxo
Kate
19. JULI 1997
Als ich heute Morgen aufgewacht bin, war ich davon überzeugt, ich hätte alles nur geträumt. Fantasiert. Denn es konnte nicht sein, dass ich so etwas getan hatte. Nicht ich.
Aber ich war es. Und ich verabscheue mich dafür. Hab in der Kanzlei angerufen und mich krankgemeldet. Bin den ganzen Tag im Bett geblieben. Vielleicht gehe ich nie wieder hin. Vielleicht sind meine Tage in der Kanzlei sowieso gezählt. Es ist mir egal.
Ich
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