Die letzte Walstatt - Covenant 03
habe keine Bange«, sagte es. »Heute bin ich unheimlich tapfer.« Doch als Covenant den Oberkörper drehte, so daß seine rechte Schulter sich zwischen das Gesicht des Mädchens und das verletzte Bein schob, krallte das Kind die Hände in sein Hemd und preßte das Gesicht an ihn.
Wir haben die Bluthüter verloren , hörte er im Hintergrund seiner Gedanken Mhoram sagen. Die Bluthüter verloren. Verloren. Stumm stöhnte er auf. Ach, Bannor! War es denn so schlimm?
Er biß die Zähne aufeinander, bis ihm die Kiefer schmerzten und seine Stirnwunde wüst pochte. Die Pein verlieh seinem Gemüt eine gewisse Festigkeit. Sie hielt seinen Verstand beisammen wie ein durch sein Gehirn gebohrter Spieß, nötigte ihn dazu, das Problem der Bißwunde zu beheben.
Mit einer abrupten Bewegung nahm er zwei Einschnitte vor, schnitt ein X in die Schwellung zwischen den beiden roten Bißstellen. Das Kind stieß einen gedämpften Schrei aus und verkrampfte sich, klammerte sich heftig an seinen Rücken. Im ersten Moment glotzte er entsetzt den kräftigen roten Blutschwall an, der aus dem Schnitt über das helle Bein rann. Dann ließ er das Messer fallen, als habe er sich daran verbrannt. Er packte das Bein mit beiden Händen, senkte seinen Mund auf den Biß und fing an zu saugen. Die Notwendigkeit, seine Lippen über das Schienbein zu legen, verursachte einen heißen Schmerz in seiner Mundverletzung, und sein Blut vermischte sich mit dem des Mädchens, das aus dem dunklen Fleck der Schwellung quoll. Aber auch darum scherte er sich nicht. Mit aller Kraft saugte er an dem kreuzförmigen Einschnitt. Als ihm die Luft ausging, knetete er das Bein, darum bemüht, möglichst viel Blut zum Schnitt zu pressen. Danach saugte er weiter.
Ein Schwindelgefühl, das zudem Übelkeit erregte, bemächtigte sich seines Kopfs, und alles rundum schien um ihn zu kreiseln. Er hörte zu saugen auf, weil er befürchtete, er könne in Ohnmacht sinken. »Alles klar«, schnaufte er. »Ich bin fertig. Du wirst durchkommen.« Ein Moment verstrich, bis ihm auffiel, daß das Kind an seinem Schulterblatt lehnte und leise wimmerte. Hastig wandte er sich um, nahm es in die Arme. »Du wirst es schaffen«, wiederholte er mit schwerfälliger Zunge. »Ich bringe dich jetzt zu deiner Mami.« Insgeheim bezweifelte er, daß er die Kraft zum Aufstehen habe, gar nicht davon zu reden, daß er das Mädchen auch bloß ein Stückchen weit tragen könne.
Aber er war sich darüber im klaren, daß es unverändert einer ärztlichen Behandlung bedurfte; es war schwerlich denkbar, daß er das Gift völlig entfernt hatte. Und auch der von ihm beigebrachte Einschnitt mußte von einem Arzt behandelt werden. Das Kind konnte sich seine Schwäche nicht leisten. Mit einer Anstrengung, die ihn alle Kraft kostete, raffte er sich mühselig hoch und stand für einen Moment am Abhang, als müsse er gleich wieder der Länge nach hinfallen. Das Kind in seinen Armen rotzte jämmerlich. Er fühlte sich nicht dazu in der Lage, es anzusehen, aus Furcht, es könne seinen Blick voller Vorwurf erwidern. Er starrte den Hang hinunter, während er innerlich darum rang, sich selbst durch gutes Zureden oder herbe Ermahnungen in einen Zustand der Verläßlichkeit zu bringen.
»Ihr Mund blutet ja«, sagte das Kind durchs Weinen.
»Ja, ich weiß«, murmelte Covenant. Aber dieser Schmerz war nicht ärger als die Qual in seiner Stirn, die Pein seiner Prellungen. Das alles war nur Schmerz. Er würde vorübergehen, bald mußte er unterm Leichentuch seiner Leprose verschwinden. Das Eis in seinen Knochen vermittelte ihm den Eindruck, als breite sich die Taubheit seiner Hände und Füße schon zügig aus. Schmerz war keine Rechtfertigung für Schwäche.
Langsam lockerte er ein Knie, dann wandte er sein Gesicht nach vorn. Wie eine schlecht gehandhabte Marionette wankte er den Hang hinab. Bis er den Baum erreichte – er stand gerade und schwarz da wie ein Schild, das auf die Stätte verwies, wo das Mädchen gebissen worden war –, wäre er dreimal fast gestürzt. Seine Stiefel wollten ihn zu Fall bringen; ohne die Schnürriemen hatten seine Füße darin keinen festen Halt, und jeder Schritt, den sie taten, geschah unter Behinderungen. Er lehnte sich einen Moment lang an den Baum, um zu verschnaufen. Dann schüttelte er die Stiefel ab. Er brauchte sie nicht. Seine Füße waren zu gefühllos, um zu spüren, welche Schäden ihnen das Barfußgehen zufügen mochte.
»Fertig?« keuchte er. »Wir gehen jetzt los!« Er war sich
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