Die letzte Zeugin
davon keine Ahnung.
Wir tranken Cosmopolitans, Julie und ich. Das waren beliebte Drinks damals wegen Sex and the City . Wir tranken und tanzten, und es war die aufregendste Nacht meines Lebens. Und Alexi Gurevich kam an unseren Tisch.«
Sie erzählte Brooks alles. Wie der Club ausgesehen hatte, welche Musik gespielt wurde. Wie Ilya gekommen war, wie er sie angesehen und mit ihr geredet hatte. Wie sie den ersten Kuss ihres Lebens von einem russischen Mafioso bekommen hatte.
»Wir waren so jung und so dumm«, fuhr sie fort. »Ich wollte nicht mit zu Alexi nach Hause fahren, aber ich wusste auch nicht, wie ich es ablehnen sollte. Mir war übel, und alles wurde noch schlimmer, als Ilya aufgehalten wurde und versprach, später nachzukommen. Alexis Haus war nicht weit entfernt vom Haus meiner Mutter, und ich dachte, ich könnte einfach nach Hause gehen und mich ins Bett legen. Ich war noch nie vorher betrunken gewesen, und es war überhaupt nicht mehr angenehm.«
»Ja, so ist das.«
»Hast du jemals … als Teenager?«
»Russ und ich haben ein paarmal zu viel getrunken, bevor wir volljährig waren, und danach auch noch ein paarmal.«
»Es war mein erstes und letztes Mal, und ich habe nie wieder Cosmopolitan getrunken. Ich brauche sie bloß zu sehen, dann wird mir schon schlecht.« Und sie bekam Angst, gestand sie sich selber ein. »Er hatte ein schönes Haus mit Blick auf den See. Aber es war viel zu protzig eingerichtet, fand ich. Zu auffällig trendy. Er machte uns Drinks, stellte Musik an, aber mir war übel, und ich übergab mich im Badezimmer hinter der Küche. So schlecht war es mir in meinem ganzen Leben noch nicht gegangen. Ich hätte mich am liebsten …«
»Auf dem Fußboden zusammengerollt, um zu sterben?«
»Ja. Ja.« Sie lachte ein bisschen. »Na ja, die Erfahrung machen wahrscheinlich viele Leute zumindest einmal in ihrem Leben. Es ging mir immer noch nicht gut, als ich herauskam. Ich sah … Julie und Alex hatten Sex auf dem Sofa. Ich war fasziniert und entsetzt zugleich, und es war mir alles so peinlich. Ich ging durch die Küche auf die Terrasse. An der frischen Luft ging es mir besser. Ich setzte mich auf einen Stuhl und schlief ein. Und die Stimmen weckten mich.«
»Dir ist kalt.« Weil sie anfing zu zittern, legte Brooks ihr den Arm um die Schultern.
»Es war kalt in jener Nacht. Vom Wasser her wehte der Wind, aber vielleicht lag es auch an meiner Übelkeit oder daran, was … was als Nächstes passierte. Hier draußen ist die Erinnerung so stark. Ich möchte lieber wieder zurückgehen. Beim Gehen redet es sich leichter.«
»Okay.«
»Ich habe vor, hier eine Bank aufzustellen, aus Holz oder so. Etwas, was so aussieht, als sei es hier gewachsen. Ich liebe den Blick und die Stille. Nur der Bach plätschert, und die Vögel zwitschern. Siehst du, wie gerne Bert im Wasser planscht? Es kommt mir so vor, als gehöre alles mir. Albern.«
»Das ist nicht albern.«
Albern, wiederholte sie stumm.
»In jener Nacht blickte ich durch die Glasscheibe der Schiebetüren und sah zwei Männer bei Alex. Julie sah ich nicht. Zuerst redeten sie Russisch, aber ich hatte Russisch gelernt. Ich mag Sprachen, und ich habe eine Begabung dafür. Ich verstand, was sie sagten. Der eine Mann, er hieß Korotkii, Yakov Korotkii, beschuldigte Alex, der Familie Geld zu stehlen. Sie stritten, und zuerst war Alex sehr arrogant. Aber das hielt nicht an. Sie sagten, er habe die Polizei informiert, weil er wegen Drogenbesitzes verhaftet worden war. Der andere Mann, er war sehr dick, zwang Alex auf die Knie, und Alex bekam Angst. Er versuchte zu verhandeln, zu drohen, und schließlich bettelte er um sein Leben. Würdest du meine Hand halten?«
Er ergriff sie und drückte sie sanft. »Hör auf, wenn du aufhören musst.«
»Jetzt muss ich auch zu Ende erzählen. Korotkii schoss ihn zweimal in die Schläfe. Er schoss so beiläufig, wie du dein Auto anlassen oder dein Hemd anziehen würdest. Dann kam Julie dazu. Sie war nicht angezogen, ihr war auch schlecht gewesen. Sie sagte kaum einen Ton, sah kaum etwas, und Korotkii erschoss sie wie aus einem Reflex heraus, so wie man vielleicht eine Fliege erschlägt. Gott. O Gott.«
»Komm, lehn dich an mich.« Er ließ ihre Hand los, schlang den Arm um sie und zog sie beim Gehen fest an sich.
»Aber Korotkii war wütend, weil er nicht gewusst hatte, dass sie da war. Er hatte nichts von ihr und nichts von mir gewusst. Keiner wusste etwas von mir, und ich saß draußen an der Schiebetür,
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