Die letzte Zeugin
seit Jahren nicht mehr miteinander gesprochen.«
Tabuthema, schloss Brooks. Großes Tabu. »Ich rede ständig mit meinen Eltern, fast jeden verdammten Tag. Einer der Vor- oder Nachteile, je nachdem, wie man es sieht, wenn man in einer Kleinstadt lebt.«
»In deinem Fall ist es sicher ein Vorteil.«
»Ja. Als Kind habe ich es für selbstverständlich gehalten, aber das tun ja alle Kinder. Also, es für selbstverständlich halten. Als ich dann in Little Rock lebte, haben wir häufig telefoniert oder E-Mails geschickt. Und ich bin jeden Monat einmal hier gewesen, um meine Eltern, meine Schwestern und meine Freunde, die hiergeblieben sind, zu besuchen. Aber dass ich einmal wieder hierher zurückziehen würde, habe ich nie vermutet.«
»Hast du dich in Little Rock wohlgefühlt?«
»Ja. Aber als mein Vater krank wurde, fühlte ich mich nicht nur verpflichtet zurückzukommen, sondern ich wollte es auch.«
Er zeigte mit dem Finger auf sie. »Schicksal.«
Sie schüttelte leicht den Kopf und lächelte dieses Lächeln, das er so gerne hatte. »Du hast eine Familie, die eng zusammensteht.«
»Ja, so könnte man es sagen. Wie schmeckt dir die Pizza?«
»Sehr gut. Wenn ich selber eine backe, dann nehme ich für den Teig Vollkornweizen, aber die hier schmeckt mir besser.«
»Du backst selber Pizza? Aus einer Backmischung?«
»Wenn es eine Backmischung ist, backt man sie ja nicht selber.«
»Ich koche fast gar nichts selber. Du machst also auch den Teig?«
»Ja, wenn ich Lust dazu habe.«
»Das macht ja noch nicht einmal meine Mutter.« Er legte ein weiteres Stück auf ihren Teller. Er nahm sich ebenfalls eins und schenkte Wein nach. »Vielleicht zeigst du mir ja später das Gewächshaus.«
»Ich baue kein Marihuana an.«
Er lachte so fröhlich, dass sie leicht zusammenzuckte. »Wäre das nicht interessant? Aber daran hatte ich gar nicht gedacht. Ich bin bei Gärtnern aufgewachsen, deshalb interessiert es mich. Es gibt allerdings tatsächlich ein paar Gewächshäuser hier in der Gegend, in denen Gras angebaut wird – für den persönlichen Gebrauch oder um sich ein bisschen was dazuzuverdienen. Das hat sogar meine Mutter gemacht, bis wir Kinder kamen. Und sie würde noch heute dafür eintreten, dass es legalisiert wird.«
»Wenn Marihuana legalisiert, einer Qualitätskontrolle unterzogen und mit Steuern belegt würde, dann würde der Staat eine Menge Geld einnehmen und bräuchte nicht mehr so viel dafür auszugeben, die gegenwärtigen Gesetze durchzusetzen.«
»Das ist eine Frage des Standpunkts.«
Der Hund setzte sich auf und starrte Abigail an. » Allez «, sagte sie. Er lief von der Veranda herunter zu einem Baum.
»Schon wieder Französisch. Hat dieser Hund gerade um Erlaubnis gebeten, pinkeln zu gehen?«
»Ohne meine Erlaubnis würde er die Veranda nie verlassen.« Sie trank einen Schluck Wein. »Ich habe es mir anders überlegt.«
»Zu spät, du isst bereits dein zweites Stück.«
»Nicht wegen der Pizza. Ich möchte gern mit dir schlafen.«
Brooks war dankbar, dass er gerade nichts im Mund hatte, sonst hätte er sich verschluckt. »Ist das eine Tatsache?«
»Ja. Nachdem ich das Für und Wider abgewogen habe, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass Sex für uns beide befriedigend wäre. Du bist attraktiv und angenehm. Und sauber. Du küsst sehr gut, und ich habe zwar herausgefunden, dass das nicht immer ein zuverlässiger Gradmesser für Fähigkeiten im Bett ist, aber es hängt doch häufig zusammen. Wenn du einverstanden bist, können wir zu Ende essen. Ich zeige dir das Gewächshaus, und dann können wir hineingehen und Sex haben. Ich nehme die Pille, aber ich möchte dich bitten, trotzdem ein Kondom zu benutzen.«
Ihm verschlug es fast die Sprache. »Das ist ein Angebot, okay.«
»Du bist nicht einverstanden?« Eine Absage hatte sie nicht einkalkuliert. »Ich dachte, du begehrst mich körperlich. Nicht?«
Brooks stellte seinen Teller auf den Tisch und stand auf. Viel zu aufgewühlt, um sich darum zu scheren, was der Hund dachte – oder tat –, zog er Abigail hoch und riss sie an sich.
Dieses Mal küsste er sie nicht sanft, und sie hatte das Gefühl zu explodieren. Sie schwankte und wäre zu Boden gefallen, wenn sie sich nicht an ihn geklammert hätte.
»Warte. Warte.«
Vielleicht lag es am Zittern in ihrer Stimme – oder am leisen, warnenden Knurren des Hundes –, er ließ sie zwar nicht los, wurde aber sanfter.
» Ami. Ami .« Ihre Hand zitterte wie ihre Stimme, als sie sie kurz auf
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