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Die letzten Dinge - Roman

Die letzten Dinge - Roman

Titel: Die letzten Dinge - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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an.
    Du, Sotzbacher Mädchen, du bist mein aller allerliebster Schatz.
    Und du meiner!

Im Zimmer   von früher Frau Wissmar und jetzt Frau Klara Eisbrenner herrschte Totenstille.
    Niemand hatte die Gardinen aufgezogen. Niemand hatte das Bett aufgeschlagen. Niemand hatte ein Licht angemacht.
    Ihr Stock stand still am Sessel, ein Unterhemd, ein zarter Pulli und ein Wollrock hingen über der Lehne. Ein Schnabelbecher mit Tee stand halbleer auf dem Nachttisch. Frühe Herbstsonne sickerte durch den Vorhang und ließ winzige Fünkchen des neuen Tages hindurchscheinen.
    Klara Eisbrenner lag auf dem Boden mit offenen Augen. Die Haare umrahmten ihr Gesicht in weißgrauem Schein wie eine Silberprinzessin, doch es war über und über von Blut getränkt. Ihr Nachthemd war über die Knie gerutscht und ein Knopf war abgerissen, ein Bein war verdreht und die schönen, blauen Augen starrten in ein ewiges Nichts.
    Die Bergweihnacht war überall. Es war ein Segen. Die Musiktruhe blieb geschlossen und doch war die Bergweihnacht zu hören, friedlich und traulich und von wunderbaren Knabenstimmen gesungen.
    Man durfte nur still sein. Es schien, als strahlte Klara Eisbrenner noch, die vergängliche Hülle lag reglos am Boden. Es war alles, alles gut. Sie brauchte nie wieder auf den Friedhof zu gehen, um ihre Liebsten zu besuchen. Und die Blumen blühten überall und die Blumen waren tausendmal schöner als auf der Erde.
    Eine kleine alte Nonne war mit ihr gegangen. Es war vorbei.
    Es war endlich alles gut.
    Das Zimmer blieb friedlich.
    Bis die Tür aufging und ein Schrei erklang und von überall die Leute kamen; es wurde laut telefoniert und grelles Licht zerstörte die Helligkeit. Plötzlich jagten Männer in rotblauen Jacken mit Neonstreifen herein und irgendwann kam ein Mann im blauen Kittel voller Sägespäne herbeigeeilt und fiel auf die Knie und drückte irgendwann langsam und traurig die offenen Augen der Klara Eisbrenner zu.
    Der Herr sei ihrer armen Seele gnädig. Nimm sie auf in dein Reich. Herr erhöre mein Gebet und lass mein Rufen zu dir kommen. Aus der Tiefe, oh Herr, rufen wir zu dir.
    Aber Klara Eisbrenner hatte längst vergessen, wie schwer es auf der Welt gewesen war, angesichts all der Herrlichkeit, die sie sah, und all der wunderbaren Belohnungen, die der Herrgott ihr nun überreichte für jedes gute Wort, das sie gehabt hatte für jeden, der ihr begegnet war.

Blumen für Rosalinde  . Frau Bellheim hatte ihr Blumen mitgebracht und die Kinder von Frau Wilhelm hatten ihr Rosenöl geschenkt und der Sohn von Dr. Kolcheswski einen Tag im Kurbad mit Massage.
    Rosalinde starrte auf das Öl und die Blumen und den verzierten Gutschein. Ihr Korb war voller Früchte aus Marokko. Das musste doch helfen, um durchzuhalten. Menschen, die ihre Fähigkeiten zu schätzen wussten. Das Trinkgeld war ja allgemein ein wenig mau. Diejenigen, die sich am meisten beschwerten, gaben am wenigsten Trinkgeld. Aber Bellheims, Wilhelms und Kolchewskis hatten immer etwas für sie. Jeden Tag kamen sie, um nach ihren Leutchen zu sehen, und es war gut, so wie es war. So war alles zu ertragen.
    Rosalinde starrte auf ihre Finger, sie waren verkrustet vom Blutzuckermessen. Sie hatte sich zu sehr gestochen. Stach sich immer selbst, in den Finger, in den Bauch. Hatte sie sich heute schon gestochen? Rosalinde musste überlegen. Hatte sie? Ihre Finger waren taub, ihr Kopf seltsam leer. Sie konnte sich nicht erinnern. Hatte sie Frau Sturm schon gespritzt? Hatte sie? Sie wusste es nicht mehr. Ihre Gedanken liefen durcheinander. Sie brachte nichts mehr zusammen.
    Sie musste nachfragen. Ging zum Zimmer der Frau Sturm und klopfte und fragte, ob diese schon die Spritze bekommen hätte.
    Ja, hatte sie, sagte Frau Sturm verwundert, zeigte Rosalinde die Einstichstelle am Schenkel und zog dann wieder den Rock über die Stützstrümpfe.
    Aah, gut.
    Schwester, Sie sind ja noch mehr durcheinander als ich.
    Ja, ich … man hat so viel um die Ohren …
    Sie eilte davon.
    Und hatte sie Herrn Bellheim die künstliche Nahrung angehängt? Hatte sie? Lief die Nahrung? Sie wusste es nicht mehr. Besser, sie schaute noch mal nach. Oh ja, die Nahrung lief. Rosalinde war erleichtert. Welche Uhrzeit war es eigentlich? Elf Uhr. Ah ja. Elf Uhr. Was war da noch? Was hatte sie vorgehabt?
    Betäubt lief sie weiter, als Ivy an ihr vorbeistürmte, kurz bremste, Rosalinde kurz im Genick packte, schüttelte und weiterlief. Rosalinde kratzte sich den Kopf, sie konnte Ivy nicht entlassen, sie

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