Die letzten Dinge - Roman
umdrehte, so, als wüsste sie den Weg zum Versorgungsamt. Das war beruhigend, so beruhigend. Und Frau Eisbrenner vertraute sich ihr an, ging bereitwillig mit ihr, freute sich und konnte mit einem Mal wieder ganz klar denken. Und sie bereitete sich vor, sammelte ihre Gedanken und richtete ihre Kleider, denn gleich, sie wusste es … gleich stand sie … da … endlich: vor ihrem wunderbaren Sachbearbeiter.
Das Sotzbacher Mädchen lag mit allen Kleidern, Brille, Stock und Handtasche im Bett und schlief.
Huch!, rief sie, als Ivy hereinkam und ihr die Hand auf die Schulter legte.
Huch? Hast du mich jetzt geweckt?
Komm Schatz, wir stehen auf, ein neuer Tag, neues Spiel, neues Glück. Im Prinzip bist du ja schon fix und fertig.
Ivy lachte schallend.
Das Sotzbacher Mädchen lachte auch, streckte die kurzen Arme aus und zog Ivys schwarzen Kopf an ihre Brust.
Ach komm her, ich muss dich drücken! Ich hab euch alle so gern, ach, was hab ich euch so gern! Ach, ich hab so gut geschlafen, was habe ich so gut geschlafen!
Sie rieb sich die Augen und sah ihn verschmitzt an.
Willst du mal sehen, was ich für schöne Beine hab?
Und sie warf die Bettdecke von sich und streckte ihre Beinchen mit den Feinstrumpfknielingen kerzengerade in die Höhe. Das Sotzbacher Mädchen hatte einen kugelrunden Körper und zwei lustige schmale, kurze Beine und auf diese Beine war sie sehr stolz.
Guck mal!
Verführerisch, sagte Ivy. Rank und schlank und kerzengrade!
Und keine Krampfadern! Der Arzt hat gesagt: Frau Siefert, hat er gesagt: was Sie im Alter noch für schöne Beine haben! Und keine Krampfadern!
Wunderbar, sagte Ivy. Jetzt aber mal husch ins Bad, wir machen heute große Wäsche, duschen und alles, denn ich habe eine Überraschung!
Eine Überraschung?? Oh, da freu ich mich! Da freu ich mich! Was denn?
Und das Sotzbacher Mädchen sprang auf und war hellwach, nur als sie aus dem Bett rutschte, musste sie sich einen Moment an Ivy festhalten, weil ihr so schwindelig war.
Na komm. Sag ich dir gleich.
Und das Sotzbacher Mädchen wackelte an Ivys Seite ins Bad und ließ es sich gerne gefallen, dass er ihr alles auszog, was sie gestern noch getragen hatte, und das warme Wasser über sie laufen ließ und sie mit Aprikosenschaum einschäumte.
Guck mal, was ich noch für einen schönen Körper hab!, rief das Sotzbacher Mädchen.
Sie nahm ihre recht ausladenden Brüste, die über dem kugelrunden Bauch lagen, und hob sie hoch:
Sieh mal – an der Brust haben fünf Kinderchen dran genuckelt, sollt man nicht meinen, oder?
Frau Siefert – ein klasse Körper. Da könnte ich beinahe schwach werden!
Frau Siefert kicherte ohne Ende.
Gell, ich bin immer lieb zu euch! Und ich hab euch auch alle gerne! Und gell, ihr habt mich auch gerne?
Ja, Frau Siefert, wir haben dich alle gerne und du bist mein allerbester Schatz!
Oooch!
Das Sotzbacher Mädchen strahlte und Ivy nahm den Föhn, rubbelte sie ordentlich trocken und stellte ihre Haare adrett in eine Irokesenfrisur.
Willst du nicht wissen, was für eine Überraschung ich habe?
Was für eine Überraschung?
Mein liebes Sotzbacher Mädchen. Heute machen wir uns mal ganz schick und ziehen auch die Perlenkette an. Denn heute geht es zum Zahnarzt!
Was – zum Zahnarzt??
Jawoll, du kriegst ein nagelneues Gebiss! Wir haben es über die Versicherung gedreht und geschrieben, der Alwis hat dein Gebiss in das Klo geworfen und weggespült. Und jetzt zahlt die Versicherung vom Alwis dir ein strahlend weißes Blendax-Gebiss.
Hat der mir das Gebiss in das Klo geschmissen? Dem werd ich aber …
Guck mal, Sotzbacher Mädchen!
Ivy ging an den Kleiderschrank und holte drei Kleider heraus.
Heute lieber feminin lavendelfarben mit Blütenstickerei? Oder lieber verwegen giftgrün? Oder betörend sommerlich mit gelber Strickweste?
Och, sagte sie und nahm dann das Kleid mit der gelben Strickweste.
Dann geh ich heute zum Zahnarzt?
Jawoll, Zuckerschnute, und dann kannst du jeden Tag Kotelett essen und Schnitzel und Knackwurst, denn wir wollen, dass Sie auch morgen noch kraftvoll zubeißen können!
Huui!, rief das Sotzbacher Mädchen und ihr lief das Wasser im Munde zusammen. Schnitzel und Knackwurst! Schnitzel und Knackwurst! Endlich wieder! Ach, das Leben war herrlich, einfach wunderbar – und es gab doch nichts Schöneres, als auf der Welt zu sein.
Komm, Frau Siefert, wir wackeln mal los zum Frühstück, sonst wird es alles zu spät!
Gell, du hast mich auch gern?, sagte sie und himmelte Ivy
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