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Die letzten Dinge - Roman

Die letzten Dinge - Roman

Titel: Die letzten Dinge - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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hineinflogen oder Ängste, weil die Erlebnisse das Weiß so einfärbten. Kein T-Shirt, kein frischer Kittel blieb weiß, nicht eine Stunde, dann tropfte künstliche Nahrung darauf, dann heulte einem einer in die Schürze, dann schüttete einer Kakao drüber. So war das. Station Drei besaß nicht das strahlende Weiß einer Säuglingsstation, sondern mehr den sanften Gelbton der Abenddämmerung, eine versöhnliche Helle, die niemandem mehr in den Augen brannte, die den Grundton von Abgekämpftheit nicht beschönigte, die ein einziges und ständiges Verbleichen war. Lotta bezog Betten um Betten, legte Tischdecken auf, die Pfleger trugen jeden Tag frische weiße T-Shirts. Aber die Farbe hielt nicht, sie verblich gemeinsam mit den Alten, tränkte diese mit Erinnerungen an frisches Morgenweiß, und verblasste dann schnell.
    Die Tage waren hell, aber die Nächte, so wie Ivy sie kannte, waren schwarz und farbentrunken, jede Nacht war ein Farbtopf voller Überraschungen, tobte in den aufblitzenden Ketten an den Röcken der Männer auf der Bühne, wechselte die Farben in dem Licht der Scheinwerfer und Laserstrahlen, wechselte in den grellen Haarfarben der Jungens, die sich wieder einmal schön gemacht hatten für eine Nacht, als sei es ihre letzte auf dieser Welt.
    Kommst du mit?, hatte Ivy gefragt. – Komm, wir gehen auf die Rolle.
    Wohin?, hatte Lotta wissen wollen.
    Ach, mal sehen, wo es uns hintreibt. Man weiß doch nie, wo die Nacht einen hinbringt, erst am nächsten Tag weißt du, wo sie dich hingebracht hat und ob das gut war, oder …

So hatte Ivy   poetisch gesagt. Wo die Nacht dich hingebracht hat. Aber der Tag war noch nicht vorbei und hatte noch eine letzte Nachricht für Ivy und diese Nachricht brachte die Nacht zu Fall.
    Um neunzehn Uhr, als Ivy im Bad stand und sich mit einem Hautpflegestift über die Wangen fuhr, meldete sich bei ihm ein Mensch der jüngsten Vergangenheit, mit dem er ein intensives, aber inzwischen zerrüttetes Verhältnis hatte. Dennoch klopfte Ivys Herz bis zum Hals, als er Fredderiks Stimme erkannte, und der Hautpflegestift fiel zu Boden.
    Was?! Wie? Was noch mal?
    Ein Streifschuss, sagte Fredderik mit der Stimme eines Menschen, der Schweres ausgestanden hatte.
    Ein Streifschuss ist das gewesen. Ich war echt in eine bitterböse Sache verwickelt. Reingeraten, einfach reingeraten, echt ein böser Zufall. Wirklich. Die haben da gestanden, weißt du, gezofft, gedealt, vor meiner Nase praktisch, hatte ich jetzt echt nix mit zu tun. Ein Streifschuss, frag nicht, wo die Knarre herkam, ob das ein Bulle war oder was. Ich bin in Deckung gegangen, ich habe mich verpisst, ich dachte, das war’s, hab mein Leben schon in Bildern gesehen, aber wie das gelaufen ist, echt. Hier, rechts, an der Rippe vorbei, Schock.
    Mensch, bleib, wo du bist, ich hol dich, wo bist du denn?
    Du, komm nicht vorbei, das bringt jetzt nix, du wist da nur in was reingezogen, wir klären das jetzt mal …
    Ivy hielt den Hörer fest umklammert.
    Aber du brauchst doch Hilfe, ich hab alles da, Jod und Tinktur und Verbände und Desinfektion, ich kann alles machen …
    Nö du, das ist lieb, aber ich komm schon klar, die Junges hier – die … ich meine, es ist ja nicht durch die Lunge oder so, hat mir die Lederjacke gefetzt und der Schock und so, aber ist jetzt nicht so, dass ich blute wie ein Schwein, eher gar nicht …
    Aber da muss doch die Polizei …!
    Nee, lass mal, das gibt nur Ärger …
    Aber ein Krankenwagen!
    Nee, quatsch, so schlimm ist das nicht.
    Schweigen. Fredderik glaubte offensichtlich, dass er sein Verhalten nur mit einem noch dramatischeren Vorfall übertünchen oder rechtfertigen konnte. Und zwar mit einem Schusswechsel.
    Aber Ivy musste es trotzdem sagen.
    Fredderik … Ivy stockte. – Fredderik … es ist so … ich, äm. Ich hab dich gesehen.
    Natürlich hast du mich gesehen, ich hab dich auch schon oft gesehen, besonders deinen geilen …
    Hör zu, du … du machst mit anderen rum, oder?
    Schweigen. Dann sagte Fredderik:
    Ich hab dir nie einen »Rosegarden« versprochen. Das war von Anfang an klar.
    Ivy fing an, hin und her zu laufen, den Körper so steif wie ein Stecken, das Blut war aus seinem Gesicht gewichen und die Stirn wurde feucht.
    Aber Fredderik, ich habe mich wegen dir geprügelt, hast du das denn nicht …
    Hör zu Ivy, du sollst das nicht tun. Ich habe dir nichts und nie was versprochen, wir hatten eine supergeile Show und von mir aus ist es mit uns nie zu Ende, wenn du weißt, was ich meine,

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