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Die letzten Dinge - Roman

Die letzten Dinge - Roman

Titel: Die letzten Dinge - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Weihwasser.
    Ich sollte es auf alle Fälle segnen. Auf alle Fälle.
    Doch er wagte kaum, sich zu rühren, aus Angst, das feine Gespinst vor den Kleiderschränken könnte verschwinden … Du … sagte er … Du … was willst du, wie können wir dir helfen …?
    Das Gespenst schien zu zögern, verdichtete sich, dann schwebte es auf den Pater zu.
    Himmel … Allmächtiger …! Der Pater stürzte hin und fasste sich ans Herz … – Oh mein Gott! … und er bekreuzigte sich, sprang wieder auf. – Nein … nein … das halte ich nicht aus … oh mein Gott … ich … ich halte es nicht aus … warte … und sein Verstand stand still. Dann betete er ingrimmig um mehr Courage, um Standfestigkeit, um den Mut, seine Ängste zu bezwingen … – Himmel hilf, hilf deinem armen Bruder Ludolfus, bitte, steh uns bei, hier geschieht etwas … hier ist etwas, … das habe ich noch nicht erlebt …
    Gianna fing an zu feixen und lachte: Musse Sie kein Angst abe, Padre Ludolfus, iste nicht gefährlich, schwebt nur hin und her … siehe Sie … so usch … – usch …!
    Der weiße Flecken hatte sich wieder zurückgezogen, dann schwebte er an ihnen vorbei und durch die Tür davon.
    Was war das … was war das … das muss ich erst mal … Der Padre bekreuzigte sich … wo ist es denn jetzt hin …?
    Ist auf Statione gefloge … Auf Statione fünf. Vielleicht sollte Sie komme auf Statione.
    Ja, das, das sollte ich wohl. Das wollte ich sowieso. Ist es weg?
    Weg.
    Gianna spürte plötzlich eine tiefe Enttäuschung. Sie wollte doch, dass der Padre das Gespenst erlöste. Es sollte in den Himmel gehen, noch bevor sie in Urlaub fuhr. Aber der Padre hatte gar nichts gemacht, sich erschrocken, gebetet, war auf die Knie gefallen, aber sonst nichts. Das Gespenst machte sich auch so schnell davon. Mist war das. Mist! Wenn sie aus dem Urlaub wiederkam, dann würde es immer noch herumspuken. Aber wenigstens hatte er es auch gesehen. Dieser Umstand machte sie wieder vergnügt. Er hatte es gesehen! Er hatte es gesehen! Etwas Besseres konnte gar nicht passieren. In den Augen des Padre Ludolfus war sie jetzt eine sehr wichtige Frau. Eine Frau, die sozusagen einen direkten Kontakt zu himmlischen Kräften hatte oder so. Eine Frau, die ihm etwas sehr, sehr Außergewöhnliches zeigen konnte, etwas, das einen Mönch so in Erstaunen versetzte, dass er die Haltung verlor und auf die Knie ging. So etwas hatte auch sie selten erlebt und sie hatte schon viel erlebt auf dem Weg von Kalabrien bis hierher. Sie hätte singen mögen. Oh mio dio, das Leben war schon … das Leben war schon was! Sie hatte mit ihrem Gespenst einen Padre ins Bockshorn gejagt! Wenn das nicht zum Lachen war, Gianna kicherte in sich hinein.
    Der Padre aber hatte sie am Arm genommen, sagte: Ich verstehe jetzt, was Sie meinen. Es war sehr eindrucksvoll. Glauben Sie mir, ich muss mit meinen Glaubensbrüdern darüber reden. Oder auch nicht. Wenn es Ihnen recht ist, werde ich mich jetzt zurückziehen und erst einmal in mich gehen, was das alles zu bedeuten hat. Seien Sie unbesorgt, Gianna, ich werde mich darum kümmern. Wenn die arme Seele hier oben wohnt, dann wohnt sie auch schon ewig dort und kann noch einen Moment warten – ob Sie nun im Urlaub sind oder nicht. Man muss überlegen, was zu tun ist. Glauben Sie mir.
    Gianna glaubte. Sie glaubte alles und sie war überaus vergnügt. Man musste den Pater ziehen lassen. Sie hatte sogar ein wenig Mitleid mit ihm. Sie wusste ja, wie es einem erging, wenn man zum ersten Mal ein Gespenst sah.
    Und der Pater drückte ihr die Hand, segnete sie und polterte wieder die Treppen hinunter. Vielleicht hätte er dem Gespenst auf die Station folgen sollen, vielleicht hatte es ihm etwas zeigen wollen. Aber er war nicht imstande gewesen. So etwas musste er erst mal verdauen. Weg hier, erst einmal wieder hinaus und:
    Wacholder, dachte er. Einen Williams Christ. Einen Doppelkorn. Ja … einen Doppelkorn.

Die Tage vergingen   ganz in Weiß. Weiße Pfleger, weiße Schwestern, weiße Betten, weiße Schränke, weiße Verbände. Aber wenn Lotta nachdachte, war es kein richtiges Weiß, eher ein Eierschalenton, oder ein Wollweiß. Vielleicht legte die Vorstellung einen Schleier davor und tönte die Bilder ein. Wenn Lotta unterm Dachjuchee saß und an die Arbeit dachte, dann erschienen ihr die Station und all ihre Bewohner sogar von einem kräftigen Westerngelb überzogen. Vielleicht blieb das Weiß nicht weiß, weil so viel gefroren und geschwitzt wurde, weil Gerüche

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