Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)
formierten, winkte er Gil mit einer Flagge zu, damit dieser mit den Reservetruppen wie geplant die bereits verstärkte linke Flanke noch weiter verstärkte. Die Reserve, bei der es sich zum größten Teil um die Restbestände der Schwarzen Cordelias handelte, setzten sich zu einem langsamen Lauf in Richtung der linken Flanke in Bewegung. Cale hielt sein Pferd an. In diesem kurzen Moment zwischen dem Augenblick, in dem er seine Pläne hatte ändern müssen, und dem Wiederaufflammen des Kampfes wurde ihm plötzlich klar, dass er keine Ahnung hatte, was er jetzt tun sollte. Wir werden sehen. Wir werden schon sehen. Aber dieses entsetzliche Nichthandeln, diese Panik, ausgelöst durch die Unentschiedenheit, ob er bleiben sollte, wo er war, oder auf den Turm zurückkehren sollte, war einfach zu groß, um sich unterdrücken zu lassen. Hilflos, verloren wie ein kleines Kind, raste er hinter den Linien volle zwanzig Sekunden lang– ein ganzes Zeitalter, wie es scheinen mochte– hin und her, bis er sich wieder unter Kontrolle brachte. Und erst jetzt biss er sich direkt hinter dem Daumen tief in die Hand, wie er es während seiner furchtbaren Panikanfälle in den langen und bitteren Nächten als Kind stets getan hatte. Schmerzen schossen in seinem Arm hoch; die Panik flaute ab. Er hielt an, atmete ein paar Sekunden lang tief durch, brachte sich vollends unter Kontrolle und ritt zum Turm zurück. Von oben verfolgte er, wie sich die Schlachtreihen neu formierten und die Lakonier mit dem Angriff begannen.
Dieses Mal gab es keinen schnellen Ansturm; die Lakonier rückten in normalem Schritt vor und rechneten offenbar zuerst auf ihrer rechten Flanke mit dem Zusammenstoß. Dort stellte sich ihnen Cales nun massiv verstärkter linker Flügel entgegen. Aber Cale hatte seine Truppen nicht genügend tief staffeln können, um dem stärksten Flügel der Lakonier lange Widerstand zu leisten und auch noch genügend Soldaten in der Mitte der Front sechs oder gar acht Reihen tief aufstellen zu können. Dafür waren die Pfähle aus Eibenholz mit ihren Widerhaken gedacht: Sie sollten den lakonischen Vormarsch bremsen und somit seine viel schwächeren Linien schützen. Hatten die Lakonier diese Palisadenwand erst einmal überwunden, sollten die Erlösermönche langsam zurückweichen und sich nicht zum direkten Kampf stellen. Die vierhundert Bogenschützen auf der Anhöhe würden dann von hinten auf die Lakonier schießen, die somit vor der Wahl standen, entweder ihren nicht mit Rüstung bedeckten Rücken zu schützen oder sich von zehn Salven pro Minute, abgefeuert von den besten Bogenschützen der Vier Quadranten, abschießen zu lassen.
Auf dem linken Flügel hatte Cale keine solchen Kampfmaßnahmen vorbereitet. Hier kämpften die besten und erfahrensten Lakonier zwanzig Reihen tief, aber die Erlösertruppen traten ihnen in fast fünfzig Reihen Tiefe entgegen. Solange die Helme seine Männer vor den vernichtenden Schlägen der lakonischen Schwerter schützten und der Ansturm und das Gedränge von so vielen Männern nicht zu einem plötzlichen Zusammenbruch der Linien führte, hatte er gute Hoffnung, den Ansturm nicht nur aufhalten, sondern die Lakonier auch auf dieselbe Weise nach links zurückstoßen zu können, wie sie es selbst vor zwanzig Tagen mit den Schwarzen Cordilias getan hatten.
Ob das alles wirklich so wie geplant funktioniert hätte, war eine Frage, die noch viele Monate und Jahre danach heftig diskutiert wurde. Die Sache stand auf des Messers Schneide, wie Cale sagte, als er bis spät in die Nacht mit Vague Henri über seinen Sieg redete.
»Du warst völlig nutzlos«, sagte er milde zu Henri. »Schließlich musstest du bei diesem Halbirren Hooke bleiben. Aber ohne die Tierkadaver im Fluss hätten wir es vermutlich nicht geschafft.«
Die Schlacht war so grauenvoll gewesen, wie man es in einem Konflikt nur erwarten konnte, bei dem die eine Seite keine Angst vor dem Sterben hatte und die andere Seite den Tod nur für eine Tür zum Ewigen Leben ansah. Sie ging erst sechs Stunden nach ihrem gewaltsamen Beginn zu Ende. König Stuart-Clarke war gefallen, zusammen mit achttausend seiner Männer; die Überlebenden leisteten noch vier Wochen lang erbitterte Rückzugsgefechte und erlangten später wegen ihres Mutes und ihrer Widerstandsfähigkeit große Berühmtheit. Es war allerdings nicht so, dass ihr Widerstand für die Lakonier noch irgendetwas hätte bewirken können, als alles vorüber war. Thomas Cale hatte an diesem Tag
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