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Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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nur einen einzigen Ersatz: die Erträge, die die riesige Zahl ihrer Sklaven erwirtschaftete, die in Lakonien und in den von den Lakoniern unterworfenen Nachbarländern lebten, von denen sie auf fast allen Seiten umringt waren. Sie konnten zwar die Heloten terrorisieren und ihre Führer ausmerzen, aber das ging dann unweigerlich auf Kosten ihrer Einnahmen, welche die Sklaven erzielten, denn ein toter Sklave war und blieb ein toter Sklave. Außerdem erreichten sie dann nur, dass die Heloten mit Aufständen drohten, weil die Lakonier sie in großer Zahl umbrachten, ob sie nun rebellierten oder nicht. Jede Metzelei von ein paar tausend Heloten ließ sie zwar kurzfristig kuschen, machte sie langfristig aber umso misstrauischer. Zwar fürchteten sie sich nicht vor dem Tod, wohl aber vor der Vernichtung. Das war der Grund, warum die Lakonier wieder auf das Schlachtfeld zogen und Chartres angreifen wollten.
    Cales unmittelbarste Sorge war, dass die Lakonier erraten würden, was die Erlöser versuchen wollten, und sein Heer zwischen den steil ansteigenden Golanhöhen auf der einen und einer allerdings nur sanften Anhöhe auf der anderen Seite aufhalten würden. Die Anhöhe vermochte kaum, ihnen den Blick auf das viel größere Schlachtfeld zu verstellen, aber obwohl sie nicht wichtig erschien, war sie doch fast so wirkungsvoll wie eine große Mauer, denn sie zwang die Lakonier wie durch einen Trichter in einen viel engeren Durchgang hinein, als es davor oder dahinter der Fall sein würde. Wenn Cale sie dort angriff, würden nicht einmal die Lakonier in der Lage sein, sich mitten in der Schlacht neu zu formieren.
    Unglücklicherweise hatte der neu gewählte König der Lakonier, Jeremy Stuart-Clarke, dieses Problem sofort erkannt, aber seine Alternativen waren begrenzt: Er konnte am Golan vorbei auf Chartres vorrücken, wobei er aber das Risiko dieses Flaschenhalses eingehen müsste. Oder er konnte bleiben, wo er sich befand, und abwarten, wobei er aber bald die wertvollen, gerade erst angelieferten Vorräte aufbrauchen und seine Männer nicht nur physisch, sondern auch mental zum Stillstand bringen würde. Ein Soldat mochte noch so diszipliniert sein, geduldig war er niemals. Nach der langen Warterei waren die Soldaten aufgeputscht und kampfbereit; sie jetzt wieder zum Stillstand zu bringen war etwas, das König Stuart-Clarke nicht ohne guten Grund veranlassen wollte. Und diesen Grund hatte er nicht. Weiter nach Süden zu ziehen und Chartres von der flacheren Rückseite her anzugreifen würde mindestens eine Woche kosten und den Erlösern noch mehr Zeit für ihre Vorbereitungen geben– und davon hatten sie wirklich schon genug gehabt. Er wusste, dass die Antagonisten im Begriff standen, die Erlöser weiter unter Druck zu setzen, indem sie ihre Gräben angriffen, die sich westlich der Golanhöhen erstreckten– ein Manöver, das er jetzt nicht länger aufhalten konnte und das vollkommen nutzlos sein würde, wenn er nicht sofort weitermarschieren würde.
    Er wog das eine Risiko gegen das andere ab. Angesichts der Tatsache, dass er bereits ein Erlöserheer aufgerieben hatte, hielt er es für vernünftig, damit weiterzumachen. Außerdem hatte sich sein ganzes Lager mit einer höchst unangenehmen Darmkrankheit angesteckt, die zwar nicht einmal halb so schlimm wie die Ruhr war, aber dennoch allen Männern furchtbaren Durchfall und entsetzliches Bauchgrimmen verschafft hatte. Wog er all diese Risiken gegeneinander ab, war es am sinnvollsten, auf dem kürzesten Weg gegen Chartres vorzustoßen.
    Und so kam es, dass Cale mit einer Mischung aus Freude und plötzlicher Furcht die Lakonier beobachtete, die nach einer fast dreistündigen Pause direkt auf das im Umkreis von dreihundert Meilen einzige Schlachtfeld marschierten, das ihm Möglichkeiten für Verteidigungsstellungen bot. Allerdings dämmerte es Cale allmählich, dass er bei seinen beiden früheren Erfahrungen mit größeren Schlachten die Geschehnisse stets von einer sicheren Warte aus hatte verfolgen könne, ein verächtlicher Zuschauer, der ständig seinen Senf dazugab, was man dort unten wieder einmal falsch machte. Jetzt jedoch stand er diesem entsetzlichsten aller Heere gegenüber und musste erkennen, dass es sehr wohl einen Unterschied machte, ob man etwas besser zu wissen glaubte oder es tatsächlich zu spüren bekam. Denn jetzt spürte er diesen Unterschied. Aus welchem Grund auch immer fühlte sich diese Furcht anders an als die, die ihn bei seinem Kampf mit Solomon

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