Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)
aufhalten können, selbst wenn er es gewollt hätte. So überließ er es den Zentenaren, die Männer vom Morden abzuhalten, so gut sie konnten. Als sie die Männer endlich wieder unter Kontrolle brachten, waren nur noch fünfhundert Gefangene am Leben sowie ein paar tausend Lakonier, die entkommen konnten. Cale hingegen hatte zwei dringende Dinge zu regeln. Zum einen musste er Bosco über seinen Sieg in Kenntnis setzen; zum anderen musste er Guido Hooke dermaßen zur Schnecke machen, dass diesem Hören und Sehen verging– eine Schimpfkanonade, die so voller obszöner Beleidigungen war, dass sie fast so berühmt wurde wie die Schlacht selbst.
Eins allerdings konnte Cale nicht wissen: Sein Sieg beseitigte zwar eine Lebensgefahr für ihn, ersetzte sie aber nur durch eine andere, und über diese würde er keine Kontrolle haben. Boscos Zögern, in Chartres endlich Fakten zu schaffen, wurde nicht durch Entscheidungsschwäche verursacht, sondern durch die äußerst komplexen Probleme, denen er sich gegenübersah. Er musste nicht nur seine Feinde vernichten, noch dazu sehr schnell, sondern auch eine beträchtliche Anzahl seiner Freunde. Denn er wusste nur zu gut, dass ihm ein großer Teil seiner Gefolgsleute nur aus Enttäuschung folgte. Sie unterstützten seinen Traum einer völlig gereinigten Welt nicht aus leidenschaftlicher Überzeugung, schon deshalb nicht, weil sie keine Ahnung hatten, woran er glaubte, und entsetzt gewesen wären, wenn sie die Wahrheit erfahren hätten. Hinter Bosco hatte sich eine äußerst bunte und höchst unsichere Regenbogenkoalition von in theologischer Hinsicht Enttäuschten versammelt. Viele hegten nichts als unverträglichen, persönlichen Neid und religiöse Missgunst oder waren eigensüchtige Übeltäter, denen zwar klar war, dass eine grundlegende Veränderung in der Luft lag, die aber nur misstrauisch darauf achteten, nicht auf der falschen Seite zu stehen, wenn der Augenblick kam. Am gefährlichsten waren all jene, die wie Bosco der Vision von einer neuen, heilen Welt anhingen und die sich als entscheidend für die große Reinigung ansahen, welche vorausgehen musste.
Der Anführer dieser gefährlichen Partner war der Erlöser Paul Moseby, der seit Langem Schatzmeister dieser seltsamen Ansammlung von Visionären und Weggefährten war. Moseby verschaffte den einen Einfluss und gewährte den anderen Begünstigungen, und natürlich erwartete er dafür Gegenleistungen. Vor einem Jahr erst hatte Moseby in Chartres noch mehr Macht gewonnen, als er in schneller Abfolge einen Kader von antagonistischen Verschwörern verhaftete, welche die im Zentrum der Altstadt gelegene Basilika der Barmherzigkeit und des Mitleids niedergebrannt hatten, nach dem Dom des Lernens die zweitwichtigste und zweitheiligste Kirche der Erlöser. Allerdings hatte Moseby keine Lust mehr gehabt, auf eine wirkliche Verschwörung zu warten, und hatte deshalb die Basilika entweder selbst in Brand gesteckt oder zumindest dafür gesorgt, und dann vier Brüder als Verdächtige verhaftet, die er schon vorher sorgfältig ausgewählt hatte und die alle an Geistesschwäche litten. Ihrem ohnehin zusammenhanglosen Gebrabbel hatte er durch sorgfältig dosierte Schlafmittel ein wenig nachgeholfen. Man hatte sie recht zügig hingerichtet. Zur Belohnung erhielt Moseby neue Vollmachten, vor allem durfte er auf eigene Entscheidung das »Ermächtigungsgesetz« anwenden, das ihn berechtigte, jede beliebige Person ohne Anklage für bis zu vierzig Tage in den Kerker zu werfen. Allerdings schöpfte er diese Zeitspanne kaum jemals voll aus, denn meistens fand er schnell irgendetwas, durch das sich die Verhaftung rechtfertigen ließ. Ein paar Untersuchungshäftlinge setzte er auch wieder auf freien Fuß, schon weil es manchmal einfach besser aussah, aber meistens auch, weil er sie gleichzeitig auf seine Liste setzen konnte– sie hatten eine wirkungsvolle Lektion erteilt bekommen, was geschehen würde, wenn sie in Zukunft nicht mit ihm zusammenarbeiteten.
Aber Moseby begann allmählich diesen Zuwachs seiner Machtfülle zu genießen, je mehr er ihn in seiner reinsten Form auskosten durfte. Er fing an, Erlöserbrüder zu verhaften oder zu bedrohen, die Bosco weder verhaftet noch bedroht sehen wollte. Er begann, mit Bosco über seine eigenen Vorstellungen bezüglich der Erneuerung des Erlöserglaubens zu streiten. Hinzu kam, dass er seine abweichenden Auffassungen auch öffentlich bei Besprechungen kundtat und nicht nur im privaten Gespräch,
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