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Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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gleichzeitig erreichen. Entscheidend war dabei, dass er der Stadt die Nachricht von Cales Sieg so lange wie möglich vorenthalten musste. Die Neuigkeit, von einem derart großen Übel befreit worden zu sein, würde als historisches Ereignis zu ausgelassenen Feiern und entsprechendem Chaos führen. Boscos Chancen, seine Gegner zu vernichten, hingen jedoch entscheidend davon ab, dass sie sich dort aufhielten, wo sie sich aufhalten sollten.
    Und so stieg ein völlig entsetzter und verwirrter Haldera durch eines der beiden breiten Treppenhäuser des Kongressgebäudes hinunter, aufmerksam beobachtet von Bosco, der dreißig Schritte entfernt im anderen Treppenhaus stand. Im Kutschenhaus fanden inzwischen die ersten Attentate statt. Bruder Low und zwei seiner Mitbrüder, die das Pech hatten, zufällig gerade mit ihm zusammen zu sein, wurden, während sie inbrünstig um Cales Sieg beteten, von Gils Attentätern von hinten mit jeweils sechs oder sieben Stichen erdolcht. Bei anderen lief die Sache nicht ganz so sauber ab. Der Gonfaloniere von Hasselt wurde, als er nach einer halbstündigen Schweigeandacht auf die Straße trat, von einem Bolzen getroffen, der vom Fenster eines nahe gelegenen Hauses abgeschossen worden war. Angeblich sei der Schuss so stark gewesen, dass der Bolzen seinen Körper vollständig durchschlug und auch einen Mönch traf, der als Leibwächter hinter ihm gestanden hatte. So unwahrscheinlich die Geschichte auch klingen mochte, sie traf dennoch zu, denn Gils Attentäter bevorzugten die Überspannte Fell-Armbrust, die, wie schon der Name besagte, sich derart stark spannen ließ, dass sie fast immer tödlich wirkte. Allerdings hatte sie auch, wie ebenfalls ihr Name besagte, einen Nachteil: Sie war dermaßen überspannt, dass sie manchmal beim Auslösen des Schusses explodierte, und zwar so gewaltig, als hätte man sie mit– funktionsfähigem– Bübischem Salpeter gefüllt. Auf diese Weise überlebte Bruder Breda, Befehlshaber der Päpstlichen Leibgarde, der Beghardiner. Da er im Umgang mit Attentaten erfahrener war als die meisten übrigen der geplanten Opfer, war ihm die Bedeutung des entsetzlichen »Peng!« sofort bewusst, das bei der Explosion der Armbrust typischerweise zu hören war, wenn sie von dem potenziellen Attentäter abgeschossen wurde, und machte sich sofort zum nächsten Ausgang davon. Dort allerdings verließen ihn sein Glück und sein gesunder Menschenverstand. Denn was er als Fluchtmöglichkeit wahrnahm, führte geradewegs in eine Sackgasse, die Jean Roux genannt wurde, und Bredas Unvertrautheit mit dem örtlichen Dialekt kostete ihn das Leben. Kaum hatte er bemerkt, dass es sich um eine Sackgasse handelte, als er auch schon den Rückzug zur Hauptstraße antrat, aber den Weg durch seinen Mörder versperrt sah, der heftig aus einer Kopfwunde blutete, die von der explodierenden Armbrust stammte. Dieser Mann nahm sich sein Versagen so zu Herzen, dass er entschlossen war, den Auftrag unter allen Umständen zu Ende zu führen, selbst wenn er dabei sein eigenes Leben opfern müsste. Dieses Opfer wurde dann tatsächlich auch gefordert, denn Bredas Leibwache, die zunächst ein wenig langsam reagiert hatte, versuchte nun eilig, ihm zu Hilfe zu kommen, allerdings erst, nachdem der Mörder Breda die Hand abgehackt und ihn durch die Lunge erdolcht hatte.
    Andere Attentate mit der Armbrust verliefen erfolgreicher: Pirenne starb in der Rue de Chateaudun, zusammen mit Hardy und Nash; Pater Pete wurde im Auditorium ermordet; Bruder Oliver »Liebevoll«– so genannt wegen seiner ungewöhnlichen Milde– hauchte in seiner Wohnung in der Rue de Reverdy als Folge eines besonders prächtigen Schusses sein Leben aus. Der Bolzen wurde hinter einem Fenster abgefeuert, das gut und gern fünfzig Schritt entfernt war, durch ein weiteres Fenster hindurch in die Wohnung hinein, und erwischte ihn genau in der Brust, als er gerade zum ersten Mal an diesem Tag an seinem Fenster vorbeiging. Aber es gibt eben eine Grenze für die Zahl qualitativ derart hochwertiger Morde, genau wie die Zahl wirklich guter Holzschnitzer oder kompetenter Klempner begrenzt ist. So extrem waren die Anforderungen an die Mordkapazitäten seiner geheimen Sodalitäten, dass sich Gil gezwungen sah, sich auf die nicht ganz so exzellenten Attentäter, dann auf die bloß kompetenten, schließlich auf die eher unzuverlässigen verlassen zu müssen. Letztere, so hatte er schon vorab entschieden, sollten ihre Arbeit nur aus nächster Nähe und mit

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