Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
Vom Netzwerk:
um euch zu ermahnen, nicht so gierig zu sein. Sondern sie werden euch vom Antlitz dieser Erde fegen. Sie werden die Alten, die Jungen, die Kinder, die Mädchen töten. Sie werden nichts hinterlassen, das noch lebt. Und das alles werden sie vor euren Augen tun, und es wird das Letzte sein, was ihr zu sehen bekommt, bevor sie euch mit ihren Eisenhacken und ihren Äxten erschlagen oder euch an den Bäumen aufknüpfen. Danach werden sie eure Leichen in die Ziegelöfen werfen. Die Asche werden sie in die Flüsse streuen, bis sie sich schwarz färben, und dann wird nur noch eine schwarze Schlammmasse an euch erinnern, und der Name eures Stammes wird das Gleiche bedeuten wie Vernichtung.«
    Nach dieser Rede trat, wie man sich leicht vorstellen kann, ein entsetztes Schweigen ein. Es wurde schließlich von Dick Tarleton gebrochen, allgemein bekannt dafür, dass er nichts und niemanden ernst nahm.
    »Und das wär dann doch schade«, sagte er.
    »Warte hier zwei Tage, du Narr, dann grinst nur noch dein Totenschädel.«
    »Willst du damit sagen, dass wir kämpfen sollen?«
    »Ihr würdet verlieren.«
    »Was denn dann?«
    »Verschwinden.«
    »Und wohin?«
    »Welche Grenze ist am nächsten?«
    »Oberschlesien.«
    »Dann geht nach Oberschlesien.«
    »Hunderte Alte und Junge, mitten im Winter übers Gebirge? Das ist reiner Wahnsinn.«
    »Nun, ihr solltet euch besser einen Weg ausdenken, denn wenn ihr hierbleibt, wird es in einer Woche nur noch eine Sorte Klephts geben– tote Klephts.«
    Tatsächlich war das, was Kleist vorschlug, undenkbar. Den Stamm im Winter über das Gebirge zu führen erschien ihnen als die grauenhafteste aller Möglichkeiten. Stundenlang diskutierten sie weiter, während Kleist ihnen eine Geschichte nach der anderen über die beispiellose Grausamkeit der Erlösermönche lieferte.
    »Du übertreibst nur, damit wir tun, was du willst.«
    Erschöpft, voller Furcht und Frustration verlor Kleist schließlich die Beherrschung, schlug einen der Skeptiker nieder und musste mit Gewalt von ihm weggezerrt werden, aber erst, nachdem er seinem Gegner noch mit einem Tritt zwei Rippen gebrochen hatte. Sein Ausbruch schien jedoch die Zuschauer zu überzeugen, dass Kleist, selbst wenn er Unrecht hatte, vollkommen aufrichtig war. Als er sich wieder beruhigte, erkannte er, dass die Stimmung umgeschlagen war.
    Nun schien es höchste Zeit für ein paar kleine Prahlereien. Das Problem mit den Klephts war jedoch, dass sie übertriebene Schilderungen eigener früherer Taten nicht nur tolerierten, sondern sehr bewunderten. Sich einen Ruf für Taten ohne jedes Verdienst verschaffen zu können war eine Leistung, die oftmals weit höher geschätzt wurde als eine tatsächliche Leistung. In diesem Volk hatten Bescheidenheit oder Zurückhaltung keinen Platz.
    »Ihr kennt mich«, begann Kleist. »Die neuen Häuser, für die ihr so bereit seid zu sterben, werden meinetwegen gebaut. Meine Fähigkeiten haben euch reich gemacht– und nichts anderes. Kein Einziger von euch könnte es mit mir in einem fairen Kampf aufnehmen– auch nicht in einem unfairen. Egal, ob ich euch aus einer halben Meile Entfernung töte oder im direkten Zweikampf– von euch würde nicht mehr viel übrig sein, wenn ich euch die Nase abgebissen und die Augen mit dem Daumen eingedrückt habe.« Vielleicht hätte er an diesen blumigen Schilderungen sogar Spaß gefunden, wenn nicht das Leben seiner Frau und seines Kindes auf dem Spiel gestanden hätten.
    »Und woher, glaubt ihr, kommen diese Fähigkeiten? Sind sie unter einem Stein gewachsen? Ich habe sie von den Männern gelernt, die sich jetzt kaum einen Tagesmarsch entfernt befinden. Und vergesst nicht, dass ich nur ein Knappe war, ein Novize, was das Töten und die Grausamkeit der Erlöser angeht, die auf dem Weg hierher sind. Diese Männer verspüren weniger Mitleid als ein Mühlstein mit dem Getreidekorn. Im Vergleich zu ihnen ist Eisen wie Stroh, sind Pfeile wie trockene Grashalme. Ihr müsst die Frauen und Kinder jetzt sofort bereit machen; der größte Teil der Männer kommt mit mir. Wir werden versuchen, die Erlöser von unseren Familien so weit wie möglich wegzulocken. Das ist mein letztes Wort. Wenn ihr nicht einverstanden seid, verschwinde ich mit meiner Frau.«
    »Deine Frau, Kleist, wird bald niederkommen.«
    »Das weiß ich, und ihr könnt daran sehen, wie ernst es mir ist. Ihre Überlebenschancen und die meines Kindes sind weit besser, wenn sie es in einem Straßengraben zur Welt bringt, statt

Weitere Kostenlose Bücher