Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
Vom Netzwerk:
hierzubleiben.«
    Den versammelten Klephts erschien das noch nicht überzeugend genug, deshalb riefen sie Daisy herbei, die bestätigen musste, was Kleist sagte– denn so jung sie auch sein mochte, genoss sie doch großes Ansehen. Aufschneiderei war eine Sache, bewundert zu werden eine andere, aber die eigene Frau im neunten Monat mitten im bittersten Winter in die Wildnis zu führen war eine so entsetzliche Vorstellung, dass sie absolut überzeugend wirkte.
    Daisy kam sofort mit ihrem enormen Bauch, mit schmerzendem Rücken und ebensolchem Hintern in das Versammlungshaus angewatschelt. Sie war keineswegs in Verhandlungslaune, sondern warf ihnen die Wahrheit direkt an den Kopf.
    »Ich dachte immer, wir Klephts bewundern Männer, die wissen, wann und wie man sich fürchten muss. So viel Verstand hatten wir immer im Kopf, dass wir uns für besser als alle anderen hielten, weil wir uns als schlaue Feiglinge für besonders nützlich hielten. Ich weiß, dass ihr meinen Mann verdächtigt, mutig zu sein. Aber gerade deshalb solltet ihr ihm jetzt umso mehr vertrauen, wenn er bereit ist, mich, in diesem Zustand, von hier wegzubringen, statt sich den Erlösermönchen zu stellen. Nehmt endlich Vernunft an– bleibt am Leben.« Und damit drehte sie sich um und ging in ihr Haus zurück, um sich mit ihrer furchtbaren Angst wieder ins Bett zu legen.
    Abermals folgte eine Stunde Streit. Manche weigerten sich natürlich, sich einem solchen Risiko auszusetzen– und es war tatsächlich ein furchtbares Risiko–, nur auf das Wort eines Jungen, so nützlich er bisher auch gewesen sein mochte. Aber man muss es den Klephts lassen: Als sie sich erst einmal zur Flucht entschieden hatten, machten sie sich keineswegs nur halbherzig daran– weglaufen war schließlich etwas, worauf sie sich bestens verstanden. So dringlich Kleist auch wegwollte, war ihm doch klar, dass vor dem nächsten Morgen nicht an Aufbruch zu denken war, und die Erlöser mochten dann nur noch zwölf Stunden entfernt sein. Sie mussten ins Feld, und das so schnell wie möglich, wenn der Flüchtlingstreck noch eine Chance haben wollte, aus dem Gebirge heraus und bis zur Grenze zu gelangen.
    »Ich habe Megan Macksey als Hebamme bei mir«, sagte Daisy und bemühte sich, so ruhig und beruhigend wie möglich zu klingen, obwohl sie sich nicht so fühlte.
    »Aber wie gut ist sie unter so schlimmen Umständen?«
    »Ich denke, das werden wir bald erfahren.«
    Er lächelte. »Du bist plötzlich sehr mutig.«
    »Nimm das sofort zurück. Ich habe mich noch nie so feige gefühlt wie jetzt. Und ich wollte, du wärst ebenfalls ein Feigling.«
    »Vertrau mir.«
    »Dir vertraue ich nicht. Du liebst mich, und Liebe macht Männer dumm.«
    »Du willst also, dass ich dich nicht mehr so sehr liebe?«
    »Ich will, dass du mich genug liebst, um am Leben bleiben zu wollen.«
    »Man muss Risiken eingehen, wenn man am Leben bleiben will. Das Problem mit den Klephts ist, dass es ihnen nichts ausmacht, andere zu töten, aber dass sie selber dabei nicht umkommen wollen.«
    »Ein Grund mehr, dich nicht für sie zu opfern.«
    »Ich habe genauso wenig die Absicht, für die Klephts zu sterben, wie sie für mich sterben würden. Das hier tue ich für niemanden außer für dich und die kleine Kreatur.«
    »Gut. Vergiss das bloß nie.«
    »Ich vergesse es nicht. Du bist schon ein seltsames Mädchen, weißt du das?«
    »Was weißt du schon über Mädchen?«
    In dieser Nacht war kaum an Schlaf zu denken. Am Morgen gingen sie in düsterem Schweigen zum Abmarschplatz. Kleist fühlte sich wie ein von den Eltern verlassenes Kind und wie ein Vater, der sein Kind im Stich lässt, alles gleichzeitig. Elend hatte er in seinem Leben schon in reichlichem Maße erfahren müssen, aber noch nie hatte er es so scharf und tief empfunden. Als sie am Platz ankamen, wichen diese grauenhaften Gefühle allerdings schierer Wut. Offensichtlich war den Klephts klar geworden, dass alles, was sie zurückließen, für immer verloren sein würde, also hatten sie beschlossen, nichts zurückzulassen. Kleist hätte niemals geglaubt, dass so wenige Menschen so viel besitzen könnten und es trotzdem noch schafften, alles auf jedes verfügbare Pferd, jeden Esel oder Maulesel zu packen, der in der von Menschen bewohnten Welt aufzutreiben war. So, wie er sich fühlte, brauchte Kleist ohnehin nicht mehr viel Provokation, deshalb explodierte er vor Wut, schnitt Seile und Gurte durch, rechts, links, links, rechts, tobte und schrie die Frauen an und

Weitere Kostenlose Bücher