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Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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Tatsache, dass alle, die sich diese Pläne ausdachten, und alle, die sie ausführten, jetzt tot sind. Ihr werdet in Kohorten zu je fünfzehn Mann aufgeteilt. Ihr werdet selbst einen Kohortenführer und seinen Stellvertreter wählen sowie einen Korporal. Gemeinsam werdet ihr alles vergessen, was ihr gelernt habt, oder ihr werdet sterben. Ihr habt einen Tag Zeit, diese Gegend zu erkunden; dann wird jede Kohorte einen Plan für ihr eigenes Überleben während der drei Tage entwickeln, die wir brauchen, bis die Verstärkungstruppen eintreffen. Ich muss euch nicht einmal damit drohen, dass ihr zur Ordensburg zurückgeschickt werdet, um dort auf dem Scheiterhaufen euren Glaubensakt zu erleiden. Denn wenn ihr scheitert, werden die Folk dafür sorgen. Eine Stunde vor Sonnenuntergang treffen wir uns hier wieder.«
    Cale hatte den Purgatoren gezeigt, warum die früheren Verteidigungspläne gescheitert waren. Er hatte ihnen die Bodenformationen der Umgebung erklärt, nicht an Hand einer Landkarte, sondern an Hand der Felsen, Senken und Gräben, und hatte alles so einfach wie möglich dargestellt– in der Hoffnung, dass sie von selbst erkennen würden, dass ihre Rettung in einer einzigen Stelle lag. Doch als die Kohorten zurückkehrten und ihm einen zum Scheitern verurteilten Plan nach dem anderen vortrugen, wurde ihm klar, dass Furcht zwar vieles bewirken mochte, eines jedoch nicht: Menschen zu selbstständigem Denken zu zwingen.
    Am nächsten Tag versammelte Cale seine Purgatoren unten an der Furt. Er nahm ein Ei aus der Tasche und legte es auf eine flache Stelle auf einem großen Felsbrocken.
    »Jeder von euch, der es schafft, dieses Ei so auf den Felsen zu stellen, dass es auf der Spitze stehen bleibt, erhält den sichersten Job im Bataillon– er darf Mitteilungen von der Front hinter die Linien bringen. Sobald die Folk ins Blickfeld kommen, könnt ihr loslaufen.«
    Während der nächsten paar Minuten versuchten ungefähr zwanzig Männer, das Ei auf die Spitze zu stellen, bis alle Purgatoren überzeugt waren, dass das nicht möglich sei, wobei sie allerdings glaubten, dass Cale noch einen Trick im Ärmel hatte. Was natürlich der Fall war. Nachdem sie endgültig aufgegeben hatten, trat er neben den Felsbrocken, schlug das Ei leicht auf den Stein, sodass seine Spitze eingedrückt wurde, und stellte es so auf.
    »Ihr habt nicht gesagt, dass wir es zerbrechen dürfen!«
    »Ich habe gar nichts gesagt. Die Regeln habt ihr aufgestellt, nicht ich.« Er deutete auf die Furt. »Aus der Sicht der Verteidiger ist diese Furt an einer sehr schlechten Stelle. Ich will, dass ihr überlegt, wie wir sie verlegen können.«
    »Das ist nicht möglich.«
    »Bist du sicher?«
    »Wie denn auch?«
    »Du hast Recht: Es ist nicht möglich. Aber warum ist in allen euren Plänen vorgesehen, die Verteidigungsgräben so nahe an der Furt anzulegen, als wolltet ihr die Angreifer mit den Händen niederringen? Wenn ihr einen Bogen hättet, der zehn Meilen weit schießt, könntet ihr doch immer in sicherer Entfernung bleiben! Ob ihr auf dem Schlachtfeld seid oder nicht– denkt wie Kinder! Stellt euch jede einzelne Stelle vor, die ihr verteidigen wollt! Versetzt euch in die Köpfe des Feindes, und schaut euch das Schlachtfeld mit seinen Augen an! Prägt eurem Gehirn genau ein, wie die Umgebung hier aussieht– vom Pferd oder vom Graben aus betrachtet. Und vergleicht eure Vorstellung immer mit der Wirklichkeit. Ihr habt nämlich keine Zeit mehr, um Fehler zu begehen und daraus zu lernen.«
    Dann führte er sie zu den Gräben, in denen die meisten Erlöser beim letzten Angriff ums Leben gekommen waren.
    »Wo ist hier die Front?«
    Allmählich begannen die Purgatoren zu begreifen, was er ihnen sagen wollte.
    »Es hat keinen Zweck, sich hinter den anderen verstecken zu wollen. Es ist besser, ihr macht eure Fehler jetzt, solange nur ich hier bin und nicht die Feinde, um sie euch zu erklären.«
    Einer der Männer deutete auf den Drift, der sich vor den Gräben erstreckte.
    »Das ist falsch. Hier gibt es gar keine Front. Hier kann der Angriff von vorn, von der Seite und von hinten kommen. Die Front ist überall ringsum. Welche Stelle sollte man besetzen?«
    »Eine möglichst hoch gelegene natürlich!« Die Antwort fiel den Purgatoren so leicht wie das Amen am Ende der Morgenmesse. Dabei entstand eine gewisse Unruhe, fast so etwas wie Belustigung, dass die Männer endlich etwas gefunden hatten, bei dem sie einer Meinung waren, eine Art Gemeinschaft, das Gefühl,

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