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Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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nur ein Junge ist, ist es auch wahr. Nur Gott konnte so viel Wissen in den Kopf eines Kindes legen.«
    »Haltet die Klappe, und grabt endlich weiter«, sagte Gil, der gerade vorbeikam. Für ihn waren die Männer nur Purgatoren, aber wie bei ihnen stritten sich auch in seinem Kopf Ehrfurcht und Zweifel, wenn es um Cale ging.
    Nach zwei Stunden kam Cale allein zurück und machte sich daran, die Vorstellungen in die Tat umzusetzen, die er vom Aussichtspunkt auf dem Tafelberg aus entwickelt hatte. Einer der Scharfschützen, ein Veteran von der Ostfront, hatte aus eigenem Antrieb einen Vorschlag gemacht, den er bei der Advent-Offensive vor Swineburg beobachtet hatte. Erfreut hatte ihn Cale sofort zum Oberbullen befördert– was in Memphis für einen Soldaten eine tödliche Beleidigung gewesen wäre, für die Erlösermönche aber wie eine wichtige Position klang. Auf dem Weg vom Hügel kamen ihm jedoch Zweifel. Was zunächst wie ein guter Witz erschien, war im Grunde kindisch. Und noch schlimmer: Die Sache konnte eines Tages sogar auf ihn zurückschlagen. Aber da es nun einmal geschehen war, beschloss er, solche Späße in Zukunft zu unterlassen.
    Am Drift ließ er die zwanzig besten Reiter antreten und befahl ihnen, die Kutten auszuziehen. Er ließ einen großen Haufen Präriegras sammeln, die Kutten mit dem Gras ausstopfen und eine Stange hineinschieben. Das Ergebnis waren zwanzig Vogelscheuchen, die er in den alten Schützengräben aufstellen ließ, in denen so viele Erlösermönche beim letzten Angriff ums Leben gekommen waren. Schon aus etwa dreißig Schritt Entfernung konnte man den Unterschied kaum noch erkennen. Er hielt es für unwahrscheinlich, dass sich die Folk wundern würden, warum die Erlösermönche mit Kapuzen über dem Kopf kämpften.
    »Wozu braucht Ihr die Reiter?«, fragte Bruder Gil misstrauisch. Cale überlegte, ob er einer direkten Antwort ausweichen solle, aber dafür gab es keinen Grund.
    »Ich brauche Schutz, wenn ich vom Hügel dort drüben die Schlacht beobachte«, sagte er und nickte zu der Anhöhe hinüber, auf der er mit Gil beide vorausgegangenen Massaker verfolgt hatte.
    »Ihr gedenkt also nicht, Eure Männer in den Kampf zu führen?«
    »Ich bin nicht hier, um Männer zu retten, oder? Aber das glaubst du doch, oder?«
    Gil starrte ihn an. »Ja.«
    »Wenn ich mich recht erinnere, sagtest du einmal, ein Befehlshaber müsse sich entscheiden– entweder seinen Männern immer vorauszugehen oder ihnen nur manchmal vorauszugehen. Richtig?«
    »Ja.«
    »Nun, versuche es nie. Wer bin ich, Bruder?«
    Sie starrten einander nur an.
    »Ihr seid die Linke Hand Gottes«, sagte Gil schließlich.
    »Und warum bin ich hier?«
    Gil gab keine Antwort.
    »Hast du ein Problem«, fragte Cale, »oder verstehst du irgendetwas nicht?«
    »Nein, Herr.«
    Hooke schlenderte herbei, nachdem er mehrere Minuten lang einen seltsam gefärbten Felsbrocken betrachtet hatte.
    »Ich glaube, in dem Felsen gibt es Schwefel«, murmelte er nachdenklich.
    »Steig aufs Pferd. Wir reiten los.«
    Dreißig Minuten später stand Cale, nur von Hooke begleitet, auf dem inzwischen schon vertrauten Hügel und blickte auf sein Werk hinunter. Er war mit sich sehr zufrieden. Einem Dutzend Männer hatte er befohlen, Felsen und große Steine als Deckung für die Bogenschützen so im Gelände zu verteilen, dass sie jeweils Schussweiten von ungefähr fünfzig Schritt abdecken konnten. Von diesen Männern abgesehen konnte er niemanden ausmachen, obwohl er wusste, wohin er schauen musste.
    Am nächsten Morgen, zwei Stunden nach Tagesanbruch, entdeckte Hooke weit im Norden eine Staubwolke. Cale gab den Befehl, einen stumpfen Pfeil mitten in die Verteidigungsstellungen zu schießen, um die Purgatoren zu warnen, dass die Folk im Anmarsch waren. Nach einer Stunde entdeckte Cale die ersten Späher, die sich paarweise, manchmal auch zu dritt, in einer unregelmäßigen Linie näherten, die sich über eine Breite von ungefähr tausend Schritt erstreckte. In der Mitte der Linie rückte eine kleine Gruppe von etwa zehn Mann direkt auf den Drift zu. Sie kamen zur Kreuzung und sahen niemanden. Da sich die Landschaft an dieser Stelle nach innen senkte, mussten die nächsten Spähertrupps enger zusammenrücken. Cale spürte einen Schauder der Erregung über den Nacken laufen, der angenehm und unangenehm zugleich war. Ungefähr fünfzehn Späher standen jetzt unbekümmert beieinander, etwa einhundertfünfzig Schritt von der nächsten Stellung entfernt, in der

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