Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)
Kleist dieses Mal ein wenig behutsamer vor, um ihnen zu erklären, wie sie eine Wiederholung der Katastrophe vermeiden konnten. Es war nicht leicht, die Vorführung zu arrangieren, denn obwohl alle gern zuschauen wollen, waren sie keineswegs scharf darauf, aktiv daran teilzunehmen. Kleist musste ihnen erst einmal die stumpfen Pfeile zeigen, die er dabei benutzen wollte, aber die Klephts hatten natürlich Recht, wenn sie vermuteten, dass die Pfeile trotzdem gefährlich waren. Und es kostete auch viel Zeit und eine Menge spöttischer Bemerkungen von den Frauen, die Daisy auf ihre Seite gezogen hatte, bis die Männer zustimmten, dass er für seine Vorführung einige der Pferde ausleihen durfte. Doch schließlich war alles genehmigt, und der Veranstaltungsort war vorbereitet. Verständlicherweise war die gesamte Versammlung ziemlich traurig gestimmt, da der Ort die Erinnerung an das Unglück weckte. Kleist hatte zwanzig ziemlich männerähnliche Figuren gebastelt, und Daisy und ihre Freundinnen hatten sie auf die Pferde geschnallt, die der Stamm so widerwillig ausgeliehen hatte. Kleist stand, mit Zweigen getarnt, hinter einer brusthohen Mauer, die er errichtet hatte, an genau der Stelle, an der das Massaker stattgefunden hatte. Fünfhundert Schritte entfernt standen die Pferde und zupften gelangweilt am spärlichen Gras. Dann trieben ungefähr zwanzig Mädchen die Pferde in einer lockeren Frontlinie auf Kleist zu. Die Mädchen hielten Peitschen in den Händen, und auf Daisys Kommando schlugen sie die Pferde kräftig auf die Flanken. Sie wieherten wütend, bäumten sich auf– und als die Mädchen auch noch in den schrillsten Tönen zu schreien anfingen, gingen sie durch. Sie stürmten in einer entsetzlich anzusehenden Stampede auf Kleist zu, die Strohpuppen auf ihrem Rücken hüpften wie wild auf und ab. Um der Sache noch ein bisschen mehr Würze zu verleihen, hatte sich Kleist bis auf die Hose entkleidet, um den Zuschauern seinen für die Klephts fremdartigen, aber durchaus eindrucksvollen Oberkörper vorzuführen, auf dem sich die Muskeln nur so wölbten. Er schoss einen Pfeil ab. Gebannt verfolgten die Klephts den Flug des Pfeils, der immer schneller und in einem viel weiteren Bogen nach oben stieg, als sie jemals gesehen hatten. Er traf den Strohmann, auf den er gezielt hatte, mitten in die Brust und trat auf der Rückseite wieder heraus. Das war zwar eindrucksvoll, aber viel zu weit entfernt, um die Eingeborenen wirklich in blankes Erstaunen zu versetzen. Kleist wartete, bis die Pferde näher herangekommen waren. Um der bloßen Show willen wartete er bis zum letzten Moment, dann schoss er innerhalb der neunzig Sekunden, die die Pferde noch bis zu seinem Standort brauchten, eine große Zahl von Pfeilen in geradezu irrwitziger Geschwindigkeit ab, von denen nur zwei ihr Ziel verfehlten. Dann rasten die Pferde an ihm vorbei.
Die Klephts waren beeindruckt, aber immer noch misstrauisch.
»Damals waren hier aber hundert Feinde!«
»Ich hätte dreißig von ihnen abschießen können, bevor sie meine Stellung erreichten. Kein Feind würde solche Verluste verkraften können. Außerdem würde ich es auch nicht auf diese Weise tun. Sondern ich würde sie aus dem Hinterhalt schon Stunden oder vielleicht sogar schon Tage vorher einzeln abschießen, bevor sie überhaupt in die Nähe eures Dorfes kommen. Aus sechshundert Schritten Entfernung treffen fünf von zehn Pfeilen ihr Ziel, acht sogar, wenn man die Pferde mitrechnet.«
Es gab noch weitere Einwände, aber Kleist konnte sehen, dass seine Argumente fruchteten. Außerdem– was hatten sie schon groß zu verlieren außer diesem netten Fremden, der ihnen alles in allem so gut wie nichts bedeutete?
ZWÖLFTES KAPITEL
V
ague Henri musste von zwei Erlösermönchen gestützt werden, als er Cales Zimmer betrat.
»Legt ihn auf das Bett. Ihr könnt gehen.«
Cale kniete neben dem Bett nieder. Henris Nase und Unterlippe bluteten, offenbar von heftigen Schlägen.
»Schau dir bloß mal an, wie du aussiehst. Was um Gottes willen hast du hier zu suchen, du Vollidiot?«
»Ich freue mich auch, dich wiederzusehen.«
»Fangen wir erst mal mit meiner Frage an. Was hast du hier zu suchen?«
»Ich hing eine Weile in der Oase Voynich herum und wartete auf eine Karawane, die schwarze Erde für die Gärten zurückbringen sollte. Dann folgte ich ihr hierher und versuchte, mich ans Ende der Karawane anzuhängen, aber jemand erkannte mich. Außerdem zählen sie heute die Ankommenden und
Weitere Kostenlose Bücher