Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)
praktisch alle zu beleidigen, vor allem das Mädchen, das er, wie er inzwischen entdeckt hatte, sehr liebte. Als er erst einmal seine Überraschung über die Art und Weise, wie man Vater wurde, überwunden hatte, folgte gleich eine noch größere Überraschung, nämlich die Entdeckung, wie wunderbar diese Vorstellung war. Soweit er im Stamm sehen konnte, waren Babys hübsche kleine Dinger und schienen meistens völlig glücklich zu sein. Angesichts dessen, dass Babys auch bei den Klephts aus der Öffentlichkeit verschwanden, sobald sie zu einem lautstarken Ärgernis wurden, und dass er sie nur in ihren besten Augenblicken und noch dazu durch den dichten Schleier seines Unwissens beobachten konnte, mochte sein Optimismus zwar wenig berechtigt, aber doch verzeihlich erscheinen. Allerdings gab es auch viele tief in der Seele dieses jungen Wilden begrabene Gefühle. Die Vaterschaft, eine Möglichkeit, an die er zuvor keinen Gedanken verschwendet hatte, erschien ihm nun als wunderbares Abenteuer. Doch sein ungeschicktes Angebot, die Klephts auf einem ihrer Raubzüge zu begleiten, hatte offenbar auch seinem Glück neue Fesseln angelegt. Eine drastische Maßnahme war geboten. Als Erstes bot er Daisys Vater seinen gesamten Besitz an, also alles, was er in Memphis zusammengeplündert und später Lord Dunbars Bande wieder abgeknöpft hatte. Das freute den Vater und besänftigte die Braut. Als Nächstes schlug er vor, den Klephts zu beweisen, wie nützlich ihnen sein auf brutalste Weise erworbenes Geschick als Bogenschütze sein konnte. Dies plante er auf eine Weise zu tun, die dem Stamm klarmachte, dass er ihre Talente als Diebe keineswegs gering schätzte. Denn wann immer er ihren Prahlereien über ihre, wie sie behaupteten, fast zwangsläufig erfolgreichen Raubzüge zuhörte, begriff er, dass sie dabei eine gefährlich simple Strategie verfolgten. Sobald sie nämlich ihre Nachbarn um ihre Pferde, ihr Vieh, ihr Eingemachtes und ihr Pökelfleisch, ihre Weinkrüge, Stühle, Geld, Schafe, Ziegen, Schweine, Schmuck und überhaupt alles, was nicht niet- und nagelfest war, erleichtert hatten, folgten sie dem einfachen Prinzip des beschleunigten Rückzugs. Jeder Klepht weigerte sich umstandslos, ein Risiko einzugehen, das irgendein anderer Klepht vermeiden würde. Es herrschte ein allgemeiner Mangel an Kampfbegeisterung, was wiederum bedeutete, dass sie keinerlei Vorkehrungen trafen, um notfalls ein Rückzugsgefecht erfolgreich zu bestreiten oder mobile Verteidigungsstellungen einzurichten, mit denen sich selbst zu allem entschlossene Verfolger aufhalten ließen.
In den Monaten, die seit seiner Ankunft als damals noch recht geehrter Gast vergangen waren, hatte Kleist eine Anzahl von Bogen hergestellt, die von beträchtlich besserer Qualität waren als der Bogen, mit dem er Lord Dunbar und seine Leute hingerichtet hatte. Um bei der Wahrheit zu bleiben– er war möglicherweise auch ein wenig verstimmt über die Geringschätzung, die die Klephts seinen Talenten entgegenbrachten. Er glaubte, sie beeindrucken zu können, ohne sie zu verärgern, und sich gleichzeitig einen Ruf verschaffen zu können, ohne Risiken einzugehen, die größer waren als die, welche er ohnehin schon kannte und leicht einschätzen konnte. Diebstahl kam ihm relativ gefährlich vor– zu viele unbekannte Faktoren.
Wie er bereits hatte beobachten können, waren ihre Fähigkeiten als Bogenschützen so rudimentär wie ihre Bogen– sie konnten wirksam sein, solange sie massenweise abgeschossen wurden, aber das war nun wirklich nichts Besonderes. Darüber hinaus gab es nach Kleists Meinung nicht viel zu sagen, was sie nicht beleidigt hätte. Deshalb lud er sie zu einer Vorführung ein, am Schauplatz einer der berühmtesten militärischen Niederlagen der Klephts. Der Ort lag in den unteren Ausläufern ihrer Hügel. Hier, knapp vor dem sicheren Rückzugsgebiet ihrer Heimat, waren damals fünfzig Klephts nach einem Beutezug bis auf den letzten Mann abgeschlachtet worden. Nach Kleists Schätzung umfasste der Stamm weniger als fünfzehnhundert Köpfe, zwei Drittel davon Frauen, Kinder und Alte, sodass fünfzig Mann einen entsetzlichen Verlust darstellten. Inzwischen waren drei Jahre vergangen, und der Stamm hatte sich noch immer nicht voll davon erholt. Solche Ereignisse hatten viel damit zu tun, warum sie mit ihren Frauen so tolerant umgingen. Es gab schlicht nicht mehr genug Männer, um so zu leben, wie es die Nachbarstämme taten. Unter der Anleitung von Daisy ging
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