Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)
an– dein Zustand ist absolut erbärmlich. Diese Mädchen haben nichts anderes gelernt, als sich um Männer zu kümmern.«
»Warum?«
»Hör doch endlich auf damit.«
»Nein, ich will es wissen. Riba hat mir alles erzählt, was sie weiß, aber ich will wissen, warum.«
»Sie können dafür sorgen, dass du dich erholst. Sie kümmern sich um dich, wie sich noch nie jemand um dich gekümmert hat, viel besser als jede verderbte Materazzi-Braut, die du dir vorstellen kannst.«
»Warum?«
»Mach doch, was du willst. Ich erzähle es dir beim Mittagessen. Leg dich einfach auf das Bett, dann können wir essen.«
Ein paar Minuten später klopfte es, und einige Nonnen brachten das Essen herein. Es gab Rindfleisch mit deutschem Senf, Krebspaste, gebratenes Hähnchen und eine ganze Platte mit köstlich knusprigem Schweinebraten, von dem braunes Fett tropfte, und armlange Würste mit pürierten Tomaten und gelber Senfsoße. Außerdem gab es Kaviar aus Nigeria und Champagner aus der Ukraine. Das Dessert zum Abschluss bestand aus Rosenwassergelee mit Quark.
Während sie aßen, erklärte Cale Henri die Einzelheiten des Manifests, das Picarbo erarbeitet hatte.
Henri stellte eine Menge Fragen; danach schwieg er eine Weile und schüttelte schließlich den Kopf, als wolle er etwas abschütteln.
»Und ich dachte schon, Bosco sei völlig durchgeknallt. Wie kann man bloß so verrückt sein und trotzdem weiterleben?«
Darüber mussten sie kichern, was sie beide an frühere Zeiten erinnerte.
»Und die Mädchen wissen nichts darüber?«, fragte Henri.
»Sie glauben, wir seien hierher gesandt worden, um unter ihnen unsere Frauen auszuwählen, und wir ritten wirklich auf Schimmeln und trügen silberne Rüstungen. Nein, im Ernst: Die Mädchen sind schon gescheit genug, aber sie wissen wirklich nichts. Man hat ihnen nur eins beigebracht– dass alle Männer reine Engel seien, mutig und höflich und liebevoll und edel und stark. Ab und zu könnte ein Mann zwar auch mal sehr wütend werden, aber nur, wenn er vom Teufel dazu angestiftet würde. Aber selbst wenn eine Frau von ihrem Mann geschlagen wird, sollte sie immer nett und freundlich bleiben und sich entschuldigen, dann würde der Teufel wieder aus ihrem Mann herausfahren, und alles würde wieder gut.«
»Und du hast nicht versucht, ihnen die Wahrheit zu sagen?«
»Ich wüsste nicht, wie. Ich dachte, dass du vielleicht eine Idee hättest, aber zuerst solltest du dir anhören, was sie zu sagen haben, und dich von ihnen gesund pflegen lassen. Ich wette, dass du noch nie solchen Unsinn gehört hast wie das, was sie dir erzählen werden. Aber sie glauben es– sie glauben jedes Wort.«
»Ich habe nicht vor, ihnen etwas anzutun.«
»Es würde ihnen nichts ausmachen.«
»Woher willst du das wissen?«
»Tu, was du willst oder nicht willst. Sie jedenfalls sind willig, warum also nicht? In ein paar Monaten wirst du vielleicht schon tot sein, und das gilt auch für die Mädchen, wenn Bosco entscheidet, was aus ihnen werden soll. Leb, iss und sei glücklich, denn morgen werden wir sterben– war es nicht IdrisPukke, der das sagte?«
»Nur weil es von IdrisPukke stammt, ist es noch lange nicht wahr.«
»Wie du meinst.«
Und so kam es, dass Vague Henri in den Feucht-Trocken-Raum gebracht wurde.
DREIZEHNTES KAPITEL
D
er Feucht-Trocken-Raum war fensterlos und wurde durch Bienenwachskerzen erhellt, damit man sich nicht wie in einem Ofen fühlte. Der Raum war mit rotem Zedernholz aus dem Libanon ausgekleidet und der Boden mit Mangoholz, dessen Herkunft niemand genau kannte, das aber als besonders widerstandsfähig gegen Wasser und Seife galt. Mitten im Raum standen zwei geölte quadratische Holzwürfel, die wie große Metzgerblöcke aussahen. Vague Henri, erfüllt von banger Erwartung, wurde von zwei eigens dafür ausgewählten Mädchen in den Raum geführt, die sich ihm als Annunziata und Judith vorstellten.
»Und wie lauten eure Nachnamen?«, fragte Henri.
»Wir haben nur diesen einen Namen«, sagte Judith.
»Fühlt Ihr Euch missmutig?«, erkundigte sich Annunziata vorsichtig.
»Nein.«
»Überhaupt nicht?«
»Was soll die Frage?«
»Es würde uns helfen«, sagte Judith, »wenn Ihr uns anbrüllen würdet.«
»Und vielleicht auch noch die Schranktüren dort drüben kräftig zuknallen würdet«, ergänzte Annunziata.
»Warum denn?«
»Männer brüllen doch ständig herum, oder nicht?«
Henri hatte keine Ahnung, was die Mädchen von ihm wollten, aber er musste zugeben,
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