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Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Titel: Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvana de Mari
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Schüler Yorshs.
    Es musste nicht leicht sein für ihn, der die Buchstaben immer am Strand mit einem Stöckchen in den Sand geschrieben hatte, mit Tinte umgehen zu lernen. An Händen wie Kleidern trug er ständig die Spuren davon. Aber noch schwieriger als der Umgang mit der Tinte war für Jastrin das Erinnern. Wie er Erbrow umständlich erklärte, jetzt, wo er endlich Pergament, Federkiel und Tinte zur Verfügung hatte, fehlte ihm die Stimme ihres Vaters, des letzten Elfen, der erzählte. An die Geschichten erinnerte Jastrin sich gut, aber Namen und Daten gerieten ihm durcheinander. Wer hatte den Auguren verboten, für ihre Weissagungen der Zukunft aus dem Vogelflug Geld zu nehmen, Artimisius der Dritte oder der Vierte? Wer hatte es zur Vorschrift gemacht, dass die Söhne von Edelleuten Ritter und die Söhne von Handwerkern Fußsoldaten werden mussten, Artemisius der Erste oder der Dritte? Fünftes oder sechstes Jahrhundert? Jedes Mal wenn ihre Mama wieder auftauchte, lief Erbrow zu ihr hin, um sich in den Arm nehmen zu lassen, und Jastrin bestürmte sie mit Fragen zu Daten und Dynastien, wobei er zu seiner Enttäuschung immer wieder feststellen musste, dass die Mama von Erbrow sich einfach nicht daran erinnerte. Genauer gesagt sie hatte eine so vage und ungefähre Vorstellung davon wie von der Augenfarbe der Dämonen oder der Anzahl der Sandkörner am Strand. So unglaublich Jastrin das erscheinen mochte, ihre Mama hatte nie aufmerksam zugehört, wenn Papa erzählte, sie hatte sich die Daten, Namen und manchmal sogar die Geschichten nicht gemerkt. Sie war damit beschäftigt gewesen, Fische zu fangen, Pinienkerne zu sammeln, ihren Papa zu heiraten, gut schreiben zu lernen, eine Tochter zu haben, denen zu helfen, die mit dem Hausbauen nicht zurechtkamen, und über alldem mussten viertes und fünftes Jahrhundert durcheinandergeraten sein, was Jastrin unverzeihlich fand.
    »Unverzeihlich. Das ist absolut unverzeihlich!«, sagte der Junge mehrmals am Tag, während ihre Mama seelenruhig und fröhlich lächelte.
    Erbrow fragte sich, wie es möglich war, dass nur sie bemerkte, wie falsch das fröhliche und ruhige Lächeln ihrer Mutter war, wie stark und eisig ihre Angst war, so groß und so eiskalt, dass sogar die Lust, Jastrin zu erwürgen (eine Lust, die ihre Mama bei jeder seiner unerlässlichen historischen Fragen packte), davon abgeschwächt wurde.
    Nachts schlief Erbrow zwischen dem Körper ihrer Mutter und dem Kaminfeuer, eine gute Methode, es die ganze Nacht hindurch schön warm zu haben. Besser wäre es gewesen, zwischen Papa und Mama zu liegen, aber Papa war nicht da und man musste sich bescheiden. Dafür hatten sie, seitdem die Höhle auf der Tischlein entdeckt worden war, große, warme Stoffstücke, die Decken genannt wurden. Die sie für sich zu Hause bekommen hatten, war dunkel, dick, weich und rau zugleich.
    Die erste Nacht nach Neumond, als eine dünne Sichel jenseits des schmalen Fensterchens stand, erwachte Erbrow, und ihr war eiskalt. Sie zitterte und die Kälte kroch ihr bis in die Knochen. Sie streckte die Hand aus, um die Decke wieder über sich zu ziehen, und schaute auf die Glut, um zu sehen, seit wann das Feuer aus war. Mit Entsetzen entdeckte sie, dass die Decke über ihr lag und das Feuer knisterte, und sie begriff, dass es nicht Kälte war, was sie zu Eis erstarren ließ, sondern Hass. Erbrow drehte sich um und sah den Mann des Hasses neben sich, aber im nächsten Augenblick wurde ihr eine Art Kapuze über den Kopf gezogen und sie sah nichts mehr. Sie fühlte etwas Kaltes und Böses an der Kehle.
    »Halt still und rühr dich nicht, oder ich lass deine Tochter abstechen«, flüsterte eine Stimme. Es war eine ruhige, kalte, schleppende Stimme, die Erbrow nicht kannte. Jemand sprach mit ihrer Mama. Es war weder der Mann des Hasses noch der, der ihr das böse Ding an die Kehle hielt.
    »Halt still, Erbrow«, sagte ihre Mama leise. »Du hast eine Klinge an der Kehle. Halt still und wein nicht.«
    »Und was machen wir mit dem Krüppel, Sire Argniòlo?«, fragte der Mann des Hasses.
    »Der Krüppel, Moron? Den nehmen wir mit … ja, das ist die beste Idee …«, sagte wieder die kalte, ruhige Stimme, die also zu dem Herrn gehören musste, der Argniòlo hieß. »Nimm auch die Krone mit, die neben dem Kamin hängt. Diese Krone hatte die Hexe auf, als sie geflohen ist. Der Efeu ist das Symbol der Elfen. Bestimmt hat sie Zauberkraft. Der Richter freut sich, wenn er sie bekommt, und die Frau hier wird sie

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