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Die letzten Kinder von Schewenborn

Die letzten Kinder von Schewenborn

Titel: Die letzten Kinder von Schewenborn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrun Pausewang
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geblieben. Und du bist jung. Laß sie nicht im Stich, hörst du?«
    »Ich kenne sie doch gar nicht«, sagte ich.
    »Sie heißen Silke und Jens. Dunkles Haar - und beide rote Hosen -« Sie konnte nicht mehr sprechen. Sie sah mich nur an. »Ja«, sagte ich. Erst eine halbe Stunde später fand ich Zeit hinauszugehen.
    Ich ging an den Kinderreihen entlang und schaute nach Geschwistern in roten Hosen aus. Die meisten Kinder hatten sich in den Schatten zurückgezogen. Viele schliefen, manche schrien oder weinten, manche starrten stumm das Gebäude an. Eine große Schwester paßte auf vier kleine Geschwister auf und putzte ihnen die Nase mit Huflattich-Blättern. Unter dem Torbogen fand ich zwei magere kleine Gestalten in roten Hosen, die so schmutzig waren, daß man die rote Farbe kaum mehr erkennen konnte. Mit auseinandergegrätschten Beinen saß das Mädchen an die Mauer gelehnt. Zwischen seinen Knien schlief der kleine Junge.
    »Silke«, sagte ich, »deine Mutti läßt dich grüßen.«
    Silke schaute strahlend auf: »Wann kommt sie?«
    »Bald«, sagte ich und spürte, daß ich dabei rot wurde.
    Sie rüttelte ihren Bruder wach und sagte: »Da wollen wir schon an die Tür gehen.«
    »Nein«, sagte ich, »an der Tür jagen sie euch weg. Ihr könnt bei mir daheim warten. Eure Mutti weiß, daß ihr bei mir seid. Ihr seid doch sicher hungrig?«
    Ich nahm die Geschwister an der Hand und führte sie weg. »Kann ich auch mit?« schrie mir ein etwa achtjähriger Junge nach. »Ich hab so Hunger!« Ich drehte mich um und sagte: »Du bist schon groß, du kannst dir selber helfen.«
    Als ich heimkam, ging ich durch den hinteren Eingang ins Haus und schob die beiden Kleinen vor mir her in die Küche. Meine Mutter war allein zu Hause. Verblüfft sah sie die Kinder an. Ich flüsterte ihr zu, was ich von ihnen wußte.
    »Warum hast du ihr versprochen, was du nicht halten kannst?« fragte sie vorwurfsvoll, während sie die Kinder voller Mitleid ansah. Die schauten ängstlich zu ihr auf.
    »Ihr gehört erst mal geschrubbt!« sagte sie nach einer Weile und hob den Kleinen auf den Arm.
    Da wußte ich, daß die Kinder fürs erste versorgt waren. Ich rannte hinüber ins Hospital, um ihrer Mutter Bescheid zu sagen. Aber ich fand sie nicht mehr. Ich suchte alle Räume ab, ging an den Reihen entlang - sie war wohl inzwischen auf dem Weg zur Bleiche.
    Ich lief wieder zurück. Da hatte meine Mutter die Kinder schon in einer Schüssel gewaschen und abgefüttert und zog ihnen eben saubere Sachen von Kerstin an. Ich war ihr so dankbar, daß ich sie drückte und abküßte wie früher, als ich noch klein gewesen war.

5
    Von da ab wurde meine Mutter fast wieder wie vor dem Bombentag. Sie wachte aus ihrer Schweigsamkeit auf, ließ das Grübeln sein, kümmerte sich um die Kinder, half dem Vater und suchte nach alten Bekannten. Sie ging mit den Kindern hinauf in den Garten am Fleyenhang und ließ sie dort spielen. Sie brachte es sogar schon fertig, eine Weste aufzutrennen, die die Großmutter dem Großvater gestrickt hatte, um daraus für Silke und Jens Jäckchen zu stricken. Sie steckte auch Judith an. Die stürzte sich auf die Kinder und gab sich den ganzen Tag mit ihnen ab.
    Ich spürte, wie der Vater aufatmete. Nun brauchte er nicht mehr alles allein zu entscheiden, denn in unserer Familie hatte bisher die Mutter die meisten Entscheidungen getroffen.
    Ich brachte sie sogar dazu, einen Blick ins Hospital zu werfen. In den Krankensälen wurde ihr übel. Aber noch mehr erschütterten sie die wartenden Kinder im Hof. Sofort überredete sie zwei alte Schulfreundinnen, ihr zu helfen. Sie fand jemanden, der ihr das Portal des Schlosses aufsprengte, das schon vor dem Bombentag leergestanden hatte. Die Fensterscherben und den Schutt der herabgefallenen Stuckdecken in der Eingangshalle und auf der Treppe kehrte und schippte sie mit ihren Helferinnen hinaus und quartierte die Kinder in dem großen Kellerraum ein, dessen Fensterscheiben ganz geblieben waren, da sie unter der Erdoberfläche lagen. Schon am zweiten Tag betreute sie über einhundert Kinder - alle unter zehn Jahren. Nicht nur die aus dem Hof des Hospitals, auch solche, die ohne Eltern durch Schewenborn zogen und bettelten. Das waren nicht wenige. Am dritten Tag hausten im Schloßkeller einhundertdreißig Kinder. Sie schliefen auf Heu, das die Mutter auf dem Dachboden einer nahen Scheune aufgetrieben hatte. Die Kinder selber hatten es hinüber ins Schloß tragen müssen. Es gab eine Unmenge zu tun,

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