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Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Titel: Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ed Stuhler
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Ministerpräsident, und wir hätten gleich jemand anderen wählen sollen. Es wurden dort noch mehrere Kandidaten vorgestellt, und neben mir stand jemand auf und sagte: ›Wir brauchen auch eine Frau. Eine Frau ist immer gut, ich schlage Sie vor.‹ Ich war völlig entsetzt! Das ging dann jedoch Gott sei Dank an mir vorbei, obwohl ich ein recht gutes Ergebnis nach de Maizière erreicht hatte. Ich verließ dann die Fraktionssitzung, weil ich in Vertretung von de Maizière zu einem Gespräch mit Abgeordneten des Europäischen Parlaments gehen sollte. In meiner Abwesenheit hat man überlegt, wen man als Volkskammerpräsidenten vorschlagen könnte, und da fiel wieder mein Name. Ich wusste jedoch nichts davon. Als ich in die nächste Frak

    Volkskammerpräsidentin Sabine Bergmann-Pohl

    tionssitzung kam, musste ich mich innerhalb von fünf Minuten entscheiden, ob ich nun kandidiere oder nicht kandidiere. Ich dachte mir dann, ich mache es halt.«
      Auf der konstituierenden Sitzung setzt sich die CDU-Frau im zweiten Wahlgang gegen den SPD-Mann Reinhard Höppner durch. Höppner wird einer ihrer Stellvertreter und bringt einige Parlaments erfahrung als Präsident der Synode der Evangelischen Kirche in der Kirchenprovinz Sachsen mit, zum Beispiel im Umgang mit Geschäfts ordnungen: »Es war für mich völlig klar, wenn ich in die Volks kammer gehe, dass ich dann diese Erfahrung im Präsidium einbringen werde. Insofern war diese Linie bei mir relativ klar vorgezeichnet.«
      Sabine Bergmann-Pohl dagegen ist tatsächlich eine Laienspielerin: »Ich war natürlich verunsichert und etwas ängstlich, weil ich mutterseelenallein war. Ich hatte von meiner Partei kaum Unterstützung. Es kam niemand und sagte, dass mir jemand zur Seite gestellt würde, sondern ich kam wirklich allein in diesen Apparat hinein. Am 4. April, dem Tag vor der konstituierenden Sitzung, habe ich meinen Arztkittel ausgezogen. Ich war auf diese Arbeit als Parlamentspräsidentin überhaupt nicht vorbereitet. Ich habe mich auch erst im Laufe der Zeit dort einarbeiten müssen. Versier ter war da wohl Herr Höppner, mein Vizepräsident von der SPD, weil der vorher Präsident der Synode war und solche Parlamentsdebatten schon geleitet hatte. Ich habe höchstens mal auf einem Kongress eine Debatte unter Ärzten geleitet, aber das war es dann auch schon. Ich war natürlich am Schluss sehr viel schlauer und versierter als am Anfang. Das hat mir schon Sorgen bereitet, aber man kam auch kaum dazu, darüber nachzudenken, weil wir so viel zu tun hatten.«
      In der kurzen Zeit ihres Bestehens bearbeitet und beschließt die Volkskammer 164 Gesetze 13 , davon 3 Staatsverträge: den Vertrag über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion, den Einigungsvertrag und den Zwei-plus-Vier-Vertrag, oft auch als Deutschlandvertrag bezeichnet. Darüber hinaus werden 93 Beschlüsse und Willenserklärungen verabschiedet, wie zum Beispiel, gleich auf der zweiten Volkskammersitzung, die Erklärung zur Schuld der Deutschen gegenüber dem Ausland, auch dem jüdischen Volk.
      »Wir hatten«, so Markus Meckel, »am 12. April eine Erklärung in der Volkskammer verabschiedet, in der wir sehr deutlich gemacht haben, dass wir uns der Verantwortung der Deutschen auf dem Hintergrund unserer Geschichte stellen. Das war uns von großer Wichtigkeit. Wir haben hier das Verhältnis zu Israel benannt, unsere Schuld als Deutsche gegenüber den jüdischen Bürgern, aber auch gegenüber den Völkern der Sowjetunion, gegenüber Polen, gegenüber den Tschechen – auch gegenüber den Tschechen in Bezug auf diesen Einmarsch 1968, von dem wir damals noch glaubten, dass es Truppen der DDR in der Tschechoslowakei gegeben hat. Wir wollten diese Verantwortung aus der Geschichte auf uns nehmen, eine Verantwortung, die die SED immer geleugnet hatte. Für die SED war die Mauer der antifaschistische Schutzwall, das heißt, wir standen auf der Seite der ruhmreichen Sowjetunion als Sieger der Geschichte, und aus ideologischen Gründen gehörten wir dann

    Es sind die 96 Gesetze, die der Ministerrat eingebracht hat, zusätzlich der Vorlagen der Fraktionen sowie der Rechtsverordnungen und Gesetze der Bundes republik und der EG-Gesetze, die in Vorbereitung des Vereinigungsprozesses in Kraft treten mussten.
    gewissermaßen dazu. Dass die Deutschen in der DDR genauso wie die Westdeutschen Teil dieses deutschen Volkes waren, das so viel Unheil über ganz Europa und die Welt gebracht hatte, spielte dann keine Rolle

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