Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit
mehr, weil das identifiziert wurde mit dem Imperialismus.«
»Als ich als Volkskammerpräsidentin gewählt wurde, sagte mir jemand kurz nach der Wahl: ›Sie sind übrigens jetzt alles!‹ Es war noch kein Minister da, ich war Chef der Armee, ich war alles in einer Person. Man durfte nicht darüber nachdenken. Ich habe auch nicht darüber nachgedacht. Ich habe immer gedacht, was bringt die nächste Stunde, der nächste Tag. Und am Abend vor der konstituierenden Sitzung war ich in der CDU-Zentrale. Da saßen Herr de Maizière und der Fritz Bohl, damals Kanzleramtsminister bei Helmut Kohl. Der sagte in einem Nebensatz zu mir: ›Und im Übrigen, wenn Sie morgen als Volkskammerpräsidentin gewählt werden, dann sind Sie auch gleichzeitig amtierendes Staatsoberhaupt. Wir haben nämlich eine Verfassungsänderung vor, und es soll noch ein Staatsoberhaupt gewählt werden. Und bis zur Wahl des Staatsoberhauptes sind Sie dann in der Funktion.‹ Das hat mir natürlich den letzten Schlaf geraubt, das muss ich schon sagen, weil ich dann auch Angst bekam.«
Vorgesehen ist, das Amt des Staatsratsvorsitzenden abzuschaffen und stattdessen wieder einen Staatspräsidenten zu wählen. Für diese Funktion ist Manfred Stolpe vorgesehen. Der jedoch winkt ab. Und so bleibt es letztlich bis zum Ende der DDR bei der Doppelfunktion.
Gleich zu Beginn ihrer Karriere trifft Sabine Bergmann-Pohl eine verhängnisvolle Entscheidung: Es ist die berühmte Kleidergeschichte, die sie zeit ihres politischen Lebens verfolgen wird. Gleichzeitig wirft diese Geschichte ein Licht auf die hysterische Stimmungslage in der kollabierenden DDR. Die Volkskammerpräsidentin (und, wie sagt man, Staatsoberhäuptin?) braucht schlicht Klamotten für ihren Job: »Meine Garderobe bestand aus Jeans, Röcken, Pullovern und zwei Kostümen. Wenn man die Wahlen anschaut, da hatte ich ja auch Rock und Bluse an. Und ein befreundetes Ehepaar aus West
21.6.1990, Volkskammer, Sabine Bergmann-Pohl, Reinhard Höppner
Berlin hat gesagt: ›Wir gehen einfach am Ku'damm schnell einkaufen, und du deckst dich da mit ein paar Kostümen ein, damit du deinen Repräsentationspflichten nachkommen kannst. Wir leihen dir das Geld.‹ Wir hatten ja kein Westgeld. Ich tat das dann auch, also ich hab mich ja nicht sponsern lassen. Aber da man nicht nur von Freunden umgeben war, wurde das der Presse zugespielt, und es gab einen unheimlichen Aufruhr in der DDR, dass ich zum Ku'damm gehe und mich einkleide.«
Ihr erster Weg als Staatsoberhaupt führt sie in das Amtsgebäude von Erich Honecker, der zu diesem Zeitpunkt, nach seinem Kirchen asyl in Lobetal, eine Unterkunft im Militärhospital der sowjetischen Streitkräfte in Beelitz gefunden hat. »Ich ging mit Herrn Höppner, den ich um Begleitung gebeten hatte, in das Staatsratsgebäude und betrat dort das erste Mal diese heiligen Hallen. Ich war von dem Arbeitszimmer Honeckers unglaublich beeindruckt. Es war ein riesiger Raum, der Schreibtisch stand ganz hinten. Das hatte einen psychologischen Grund: Je länger man durch den Raum schreiten musste, desto kleiner wurde man. Also nicht ich, in dem Moment, aber für die Mitarbeiter und Besucher war das natürlich so gedacht. Es war ein bisschen unangenehm, dass ich dorthin gehen musste und meinen Vorgänger, Herrn Gerlach, bitten musste, das Amt an mich zu übergeben. Die Mitarbeiter standen wie eine Mauer, völlig versteinert, vor mir, nicht wissend, was kommt. Richard von Weizsäcker hat mir dann seinen Büroleiter zur Verfügung gestellt, Herrn Dr. Dellmann, der die Leitung des Staatsrates, also der Behörde, übernommen und mich unglaublich unterstützt hat. Ich akkreditierte und verabschiedete Diplomaten, führte mit ihnen Gespräche, und das fand immer im Staatsratsgebäude statt.«
Das Verhältnis zwischen der Parlamentspräsidentin und ihrem SPD-Stellvertreter Höppner ist gut. Es gibt keine ernsthaften Konflikte. Die Arbeitsteilung ist klar, Höppner kümmert sich um die Sachen, die das parlamentarische Geschäft anbetreffen; BergmannPohl übernimmt zusätzlich zu den Parlamentsaufgaben Repräsentationspflichten.
Es gibt in diesen Monaten mehrere Bombendrohungen gegen das Parlament: »Als der Botschafter von Großbritannien seine Aufwartung bei mir machte, gab es just in dem Moment eine Bombendrohung, und wir mussten aus der Volkskammer raus und auf den Parkplatz gehen. Der Botschafter kam mit seinem großen Auto mit Standarte und fuhr da vor. Und ich stand nun
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