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Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Titel: Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ed Stuhler
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zahlen würden, dann würde die UNO viel besser dastehen, als es im Moment der Fall ist. Ihre paar Mil lionen, die machen uns nicht ärmer, als wir ohnehin schon sind.‹ Das war mir wichtig, und außerdem wollte ich an dem Haus diese Skulptur Schwerter zu Flugscharen sehen, die ja in DDR-Zeit in der kirchlichen Friedensbewegung eine große Rolle gespielt hatte und die die jungen Leute ja damals als Applikationen auf dem Anorak trugen, die ihnen oft abgerissen wurden. Das wurde ja als NVA-feindlich angesehen und dementsprechend verfolgt. Ich habe als Anwalt viele Leute vertreten in diesen Geschichten. Und als ich dann diese Statue sah, war ich überrascht, wie groß sie war. Sie ist also weit überlebens groß, und ich hatte eine ästhetisch wirkungsvollere Vorstellung davon gehabt. Aber das spielt keine Rolle, ich habe sie gesehen.«
      Diese Reise wird von einem ganzen Tross von Journalisten aus Ost und West begleitet. Und alle wollen bei dem Treffen dabei sein. Gehler: »Ich hatte so einen großen Cadillac mit Kühlschrank, und da war so viel Platz, und ich saß da alleine drin. Und dann haben wir etwas gemacht, was völlig unüblich ist. Ich habe das Auto voller Journalisten geladen mit vier, fünf Kameraleuten, die unterwegs noch Bilder aus der ganzen Kolonne machten, völlig verrückt, ver rückte Zeiten. Aber man hat gedacht, das ist nur einmal, und irgendwann ist es zu Ende. Und dann sind wir so vor der UNO vorgefahren.
      Als mir dann die Tür aufgemacht wurde, ging ich raus, und hinterher kamen gleich vier, fünf, sechs Journalisten mit raus, sogar eine Kamera. Das hatten die da noch nicht erlebt. Die haben wahrscheinlich gedacht: die Bekloppten aus dem Osten. Man hat so was einfach gemacht . Manches war so unkonventionell, und vielleicht war es gut, dass es so war.«

    12. Pflastersteine für den Westen

    »Das Gefühl, nicht Ministerpräsident, sondern Konkursverwalter
zu sein, hat mich so manchen Tag beschlichen.«
Lothar de Maizière

    »Die DDR war pleite! Wir wären ohne Währungsunion spätestens im Juli/ August zahlungsunfähig geworden. Wir hatten Auslandsschulden in Devisen von etwa 4 Milliarden! Und in den letzten Jah ren der DDR sind 80 Prozent des Auslandsumsatzes, nicht
    80 Prozent des Gewinns des Auslands, sondern 80 Prozent Außenhandelsumsatz, allein für den Kapitaldienst draufgegangen!
      Und im Inneren: Die DDR-Wirtschaft war mit 220 Milliarden Mark bei der Staatsbank verschuldet; die Landwirtschaft mit
    120 Milliarden; der Wohnungsbau mit 110 Milliarden. Und die Bevölkerung der DDR hatte 160 Milliarden Ersparnisse, die so viel wert waren wie das Papier, auf dem sie gedruckt waren, weil dem kein Warenfonds mehr entgegenstand. Eine lächerliche Zahl geradezu. Die jährlichen Zinseinnahmen der DDR-Bevölkerung waren höher als die jährliche Zunahme des Warenfonds. Daher kamen doch diese schönen Witze: ›Anfrage: Wird es im Kommunismus noch Geld geben? Antwort: Nur noch.‹«
      Diese vernichtende Bilanz zieht Lothar de Maizière. Er bezieht sich dabei auf ein Dokument, das meist als »Schürerpapier« bezeichnet wird. Es handelt sich um eine Ausarbeitung, die der Chef der Staatlichen Plankommission der DDR, Gerhard Schürer, am 27. Oktober 1989, also neun Tage nach dem Rücktritt Erich Honeckers, dessen Nachfolger Egon Krenz vorlegt. Krenz macht diese schonungslose Analyse der ökonomischen Situation der DDR zum Gegenstand einer Politbürositzung. Auch Hans Modrow legt das Papier seinem Kabinett vor, in dem de Maizière einer seiner Stellvertreter ist. Es ist als geheim eingestuft, darf nur gelesen werden, Exzerpte sind nicht erlaubt, denn wenn die aufgeführten Tatsachen in der Öffentlichkeit bekannt würden, wäre die Kreditwürdigkeit der DDR »sofort im Eimer«, wie sich de Maizière ausdrückt: »Die DDR brauchte pro Jahr ungefähr 10 Milliarden DM-Kredite, die sie ganz mühselig bei 400 Banken eingeworben hat, mit einer fast kriminellen Methode, der sogenannten Scheckreiterei.«
      SPD-Fraktionsvorsitzender Schröder: »Die DDR hatte ja das Problem, dass sie alles, was nicht niet- und nagelfest war, schon exportiert hatte, bis hin zu Pflastersteinen, die also in den Gartenzentren im Westen für eine D-Mark das Stück verkauft wurden. Dafür wurden hier intakte Straßen aufgerissen. Die DDR wusste schlechterdings nicht, was sie noch exportieren sollte, um ihre Verbindlichkeiten zu bezahlen. In dem Gutachten von Schürer hatte es geheißen, die DDR würde in einem Jahr

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