Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit
bei Devisen Zahlungsunfähigkeit anmelden müssen. Und als Lothar de Maizière die Fachleute nach seinem Regierungsantritt gefragt hat, haben sie gesagt: ›Nein, das wird schon in diesem Jahr eintreten.‹ Die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit in Devisen ging verloren. Außerdem war die DDRWirtschaft zusätzlich enorm aus dem Tritt geraten durch die hohen Flüchtlingszahlen. Jedenfalls behaupteten die Wirtschaftsleute, dass sie ihre Pläne und Prognosen gar nicht mehr erfüllen können, weil so viele wichtige Leute fehlen würden.«
Lothar de Maizière: »Ich weiß noch, dass ich damals dem Bundeskanzler gesagt habe, wenn das so weitergeht, müsste er mir Weihnachten die Bundeswehr nach Leipzig schicken, damit sie die Straßen bahn fährt, sonst könnten wir die Infrastruktur nicht aufrechterhalten. Insofern war mir klar, die DDR-Volkswirtschaft liegt total am Boden, die Effizienz, die Produktivität beträgt 40 Prozent der westdeutschen. Die Genossen haben uns jahrelang gepredigt, die Frage ›Wer – wen?‹ wird auf dem Felde der Arbeitsproduktivität entschieden – dort ist sie entschieden worden! Recht behalten haben sie, sie könnten stolz sein.«
Ein besonders krasses Beispiel ist die Kupferproduktion in Mansfeld. Das Erz ist so unergiebig, dass die Herstellung einer Tonne Kupfer 135000 DDR-Mark kostet – mit der Einführung der D-Mark 135000 DM. Auf dem Weltmarkt kostet die Tonne Kupfer zum damaligen Zeitpunkt 11000 DM. Für die Mansfelder Produk tion gibt es keine Abnehmer mehr. »Die Kupferproduktion in Mansfeld war eben der Devisennot der DDR geschuldet, und so etwas hatten wir en masse. Wir haben täglich solche Zusammenbrüche gehabt. Wir haben Greifswald abgeschaltet, was acht Prozent der Energieversorgung der DDR darstellte. Und das konnten wir locker tun, weil die Energieabnahme der Industrie zusammengebrochen ist, weil sie nicht mehr funktionierte, weil die unfreiwillige Verzahnung im RGW sich verabschiedete. Das Gefühl, nicht Ministerpräsident, sondern Konkursverwalter zu sein, hat mich so manchen Tag beschlichen. Bloß bei Konkursverwaltung geht es um die Verwaltung von Vermögensmassen – hier ging es um die Verwaltung des Schicksals von 16 Millionen Menschen.
Der Verschuldungsgrad war enorm. Es gibt so eine internationale Kennziffer, dass man sagt, 25 Prozent des Außenhandelsaufkommens müssen für den Kapitaldienst aufgewendet werden und
75 Prozent für Importe und so weiter. Diese Rate betrug aber nicht
25 Prozent, sondern 150 Prozent. Wir mussten aus dem inneren Produktionskreislauf noch zuschießen, um den Kapitaldienst für die Auslandsschulden zu bedienen. Insofern war die Währungsunion notwendig, um den Staatskonkurs abzuwenden.«
»Wir haben in den Verhandlungen für die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion darum gerungen«, ergänzt Finanzstaatssekretär Siegert, »möglichst stabilisierende Faktoren zu schaffen, um nicht den Markt mit aller Brutalität auf unsere ostdeutsche Wirtschaft sofort wirken zu lassen. Ein Vorschlag war zum Beispiel auch, eine Institution zu schaffen, ob nun Aufbau-Ministerium oder Entwicklungs-Ministerium Ost, geleitet von Ostdeutschen, das sich um diese Dinge intensiv kümmert und Strategien entwickelt, Konzepte realisiert, mit denen die ostdeutsche Wirtschaft möglichst verlustarm in die Marktwirtschaft kommt. Ich darf hier mal Rohwedder zitieren, der mir in einem Gespräch gesagt hat: ›Wir brauchen Wege, um die Sterbeliste möglichst kleinzuhalten!‹ Er meinte die Sterbeliste der DDR-Betriebe. Diese Überlegungen sind leider von unseren westdeutschen Gesprächspartnern nicht akzeptiert worden. Man hielt ein solches Aufbau- oder Entwicklungsministerium für überflüssig. Man meinte, das kann man mit dem vorhan denen Ministerien-Apparat der Bundesrepublik lösen, und ich habe x-mal gehört: ›Der Markt wird es regeln, wenn erst die D-Mark da ist.‹ Der Markt hat es aber nicht geregelt!«
Der Premier hält nichts von einem solchen Ministerium: »Wir hatten in der DDR Hunderte von Lehrbüchern, wo man nachlesen konnte, wie man vom Markt zum Plan kommt. Aber leider gab es kein Buch für den Rückweg. Es hat sich auch manches bei dieser Privatisierung sehr spontan vollzogen. Kein politisches Amt, kein Minister hätte diese Grausamkeiten begehen können, dann wäre er wegdemonstriert worden! Und wem hätten Sie das Ressort andrehen wollen?«
Am 1. März hatte die Modrow-Regierung die Einrichtung einer »Anstalt
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