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Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Titel: Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ed Stuhler
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Herrgott schickte uns eine Rekordernte von zwölf Millionen Tonnen, die plötzlich der Markt nicht abnahm. Die Bauern sagten, sie haben unter der Bedingung der Planwirtschaft gesät und hätten eine garantierte Abnahme. Jedenfalls haben wir binnen weniger Tage fünf Millionen Tonnen Getreide und eine Million Stück Schweine an die Sowjetunion geliefert. Damit hatten wir es vom Markt runter, und der Kaufpreis wurde gestundet. Ist, glaube ich, nie bezahlt worden und gehört zu den Beträgen, auf die Schröder vor ein paar Jahren großherzig gegenüber Russland verzichtet hat.«

    Es gibt Demonstrationen. Im Juli treiben Bauern Schweine und Rinder vor die Volkskammer. Am 15. August kommt es zu massiven Protesten auf dem Berliner Alexanderplatz.

    Alexander Schalck-Golodkowski (Jg. 1932), war Stasi-Obrist und Leiter des Bereiches Kommerzielle Koordinierung sowie Devisenbeschaffer in der Honecker-Ära. Im Dezember 1989 erfolgte seine Flucht nach West-Berlin.

    15.8.1990, Bauernproteste auf dem Berliner Alexanderplatz

      »Ich habe mich sehr geärgert über die Demonstrationen der Bauern auf dem Alexanderplatz«, erregt sich Peter Pollack noch heute, »wo ja von den damaligen Verbänden über 100 000 Bauern aus der DDR zusammengefahren worden waren. In den Bussen wurden sie mit Alkohol versorgt, und diese Masse hat dann gejohlt, gepfiffen, mit Eiern und Tomaten geschmissen. Die waren überhaupt nicht bereit, Argumente zu hören. Das hat mich geärgert! Weil wir im Grunde genommen das gleiche Ziel hatten.
      Aber die waren von den Verbänden, insbesondere vom Genossenschaftsverband, so aufgeheizt worden, dass eine sachliche Atmosphäre überhaupt nicht zustande kam! Diese Präsidenten waren alles Mitglieder der Bezirksleitungen gewesen. Ich bin ja mit Ach und Krach damals vom Alexanderplatz wieder heruntergekommen. Zwar mit einem kaputten Auto, aber es ging noch ganz gut. Das hat mich sehr geärgert, dass man den Leuten mit Argumenten nichts klarmachen konnte.«
      Günther Krause: »Die große Bauerndemonstration in Berlin. Wie üblich, musste ich hin, obwohl das nicht mein Thema war, weil sich
    15.8.1990, Berlin, Alexanderplatz.

    Bei Bauernprotesten wird
       Staatssekretär Günther Krause mit Eiern und Tomaten beworfen.

    alle anderen nicht getraut haben oder andere wichtige Termine hatten. Der Innenminister Diestel hatte sich versteckt in seinem Ministerium. Lothar de Maizière hatte sich nicht für die Sache als Ansprechpartner gefühlt. Der Landwirtschaftsminister Pollack wurde ja fast massakriert, sein Auto wurde demoliert, die Schutzmacht war völlig weg. Man hat keinen Polizisten mehr gesehen. Also musste ich ungefähr eine halbe bis Dreiviertelstunde am Alexander platz vor schätzungsweise 60- bis 70000 tobenden Bauern sprechen. Meine Sekretäre haben dann an mir 16 Eiereinschläge und 12 Tomaten als Treffer gezählt. Das konnte man so an den Beulen im Gesicht ausmachen und an den Kleidungsstücken. Letztendlich habe ich bei dieser Veranstaltung nicht mehr gewusst, was eigentlich los ist.
      Wir hatten mit der Währungsunion für die Bauern folgendes Problem ausgelöst: Wir hatten die Fleischpreisregelung der Europäischen Union zum 1. Juli in der DDR einführen müssen. Ich sage das jetzt mal vereinfacht: Ein Schwein hat am 30. Juni 1000 Ostmark erbracht und am 1. Juli 100 Westmark. Es waren die Preise der Pflanzenproduzenten dagegen so, wie die es wollten, denn es war ja noch kein Markt entwickelt. Die Tierproduzenten mussten natürlich das den Tieren verfüttern, was sie in der Pflanzenproduktion bekommen haben. Also mussten Subventionszahlungen an die Fleisch produzenten erfolgen, die auch vereinbart waren bei der Währungsunion. Wenn ich die Zahlen noch richtig in Erinnerung habe, waren das im Monat Juli 700 Millionen DM. Nun gut. Ich habe die Leute beruhigt. Ich habe gesagt, ich kümmere mich darum, habe die Telefonnummer vom Ministerrat angegeben. Die nächsten zwei Tage konnte keiner mehr anrufen, weil das Netz total überlastet war. Ich bin am nächsten Tag, das war der 16. August, mit einem Fernsehteam zur ersten LPG. Ich hatte versprochen, dass dann abends in der Aktuellen Kamera darüber berichtet wird, wie ich das Problem löse.
      Jedenfalls habe ich die Nacht vorher Helmut Kohl angerufen nach dieser Veranstaltung. Dann kam auch sofort der Staatssekretär aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium, und nach ungefähr zweieinhalb Stunden hatte er dann festgestellt, dass der

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