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Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Titel: Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ed Stuhler
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Vorsitzender wird der Rostocker Pfarrer und Bündnis90-Abgeordnete Joachim Gauck, der spätere Leiter der gern nach ihm benannten Einrichtung (Gauck-Behörde) mit dem langen Namen 33 .
      Nachdem schon einige Spitzenpolitiker wegen Stasi-Verstrickungen zurückgetreten waren – neben Ibrahim Böhme waren das vor allem Wolfgang Schnur, der Vorsitzende des Demokratischen Aufbruchs (DA) und OstCDU-Generalsekretär Martin Kirchner - , soll, nach zahlreichen Verdächtigungen, der Sonderausschuss nun eine Liste der stasibelasteten Volkskammerabgeordneten erarbeiten. Zunehmend vergiftet dieses Problem die Arbeit des Parlamentes.
      Klaus Reichenbach: »Es war dann dieses Gift in der Volkskammer, dieses Damoklesschwert der Staatssicherheit, das über allen schwebte. Wer ist Stasi, wer ist es nicht? Wer ist belastet, wer nicht? Das hat natürlich teilweise Kräfte gelähmt und hat auf der anderen Seite auch in der politischen Zusammenarbeit zwischen den Parteien Misstrauen gesät. Das war das Unangenehme.
      Es gab ja ständig solche anzüglichen Bemerkungen von Journalisten, hier würden ja nur Stasi-Leute sitzen und die DDR-Regierung würde auch von Stasi-Leuten geführt. Es gab ja später die Anschuldigungen vom »Spiegel« über de Maizière, es gab bei mir auch An schuldigungen. Sie mussten sich ständig vor solchem Blödsinn

    Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der
ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU). Derzeitige Beauf
tragte ist Marianne Birthler.
Der Spiegel 52 / 1990 vom 24.12.1990, Seite 20 f.
    verteidigen, der an den Haaren herbeigezogen war, wo überhaupt kein Beweismaterial da war.«
      Der Vorwurf gegen de Maizière: Er hätte als IM »Czerny« für das MfS gearbeitet. Der streitet jeden Kontakt ab und schießt damit wohl über das Ziel hinaus. Als DDR-Rechtsanwalt hatte er junge Menschen verteidigt, die aus politischen Gründen mit der DDR in Konflikt gekommen waren: Ausreisewillige, Umweltaktivisten, Men schen, die wegen versuchter Republikflucht unter Anklage standen. Bei diesen »politischen Fällen«, die von dem MfS-eigenen Untersuchungsorgan, der sogenannten Hauptabteilung IX, bearbeitet wurden, ließ sich ein Kontakt mit den Ermittlern und Anklägern gar nicht vermeiden. »Wer anderen aus dem Sumpf hilft, macht sich die Finger schmutzig«, sagt Richard Schröder und will seinem Kollegen helfen. Doch de Maizière bleibt dabei, er habe sich beim Helfen die Finger nicht schmutzig gemacht.
      »Wir hatten wirklich genug zu tun, um die Dinge alle abzuliefern«, sagt Klaus Reichenbach weiter. »Aber wenn Sie mit diesen Vorwürfen noch leben müssen – ich habe es ganz deutlich gemerkt bei de Maizière, wie ihn das damals belastet hat. Und es hat natürlich auch uns belastet. Ich kann mich erinnern, ich habe mit Krause Nächte gesessen und diskutiert, wie viele sind in unserer Volkskammer jetzt wirklich mit diesem Makel »Stasi« behaftet? Das war eine ganz beschissene Situation, damit musste man einfach fertig werden. Es gab natürlich auch teilweise ein gewisses Misstrauen, wenn Sie mit Leuten aus der Bundesregierung verhandelt haben, weil einfach auch Ihr Gegenüber misstrauisch war. Ich habe gemerkt, nach drei, vier Monaten hat Schäuble hundertprozentig gewusst, ob wir Stasi waren oder nicht, und da gab es eine gewisse Distanz. Aber in den ersten Monaten hat er es noch nicht gewusst.«

    Die Volkskammer hatte am 24. August beschlossen, die Akten der Staatssicherheit auf dem Gebiet der DDR zu belassen und nicht, wie in den Entwürfen zum Einigungsvertrag vorgesehen, im Bundesarchiv Koblenz wegzuschließen. Jeder Bürger sollte ein Recht auf Auskunft über ihn betreffende Daten erhalten. Stasi-Mitarbeiter seien aus leitenden Positionen zu entfernen.
      Als eine Woche später, am 31. August, Wolfgang Schäuble und Günther Krause den Einigungsvertrag in Ost-Berlin unterzeichnen, ist von diesem Beschluss nichts enthalten. Daraufhin besetzt eine Gruppe von Bürgerrechtlern die Stasi-Zentrale in der Berliner Normannenstraße; am 12. September treten sie in einen unbefristeten Hungerstreik.
      »Es war eine Volksbewegung, die die Aufarbeitung des Stasi-Erbes verlangte«, erinnert sich der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90, Jens Reich: »Da hat es ja Hungerstreiks gegeben über Wochen, und die Fraktion bei uns hat sich solidarisiert mit diesen Hungerstreikenden. Und das ist also eine gekoppelte Bewegung gewesen, Volksbewegung und

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