Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit
gekommen, die durch nachrichtendienstliche Kontakte in der Zeit des Kalten Krieges irgendwann, irgendwie bei uns Unterschlupf gefunden haben. Das jetzt juristisch-publizistisch zu bewerten, die Zulässigkeit zu diskutieren, ist ein riesengroßes komplexes Problem. Für mich waren das Straftäter! Für mich war in einer rechtlich ungefestigten Zeit ein Handlungsbedarf gegeben. Ob die Überstellung an Bundesbehörden zulässig oder nicht zulässig war, das kann man trefflich diskutieren. Für mich waren das Menschen, die gegen eine bestehende demokratische Rechtsordnung, nämlich die der alten Bundesrepublik oder anderer Länder, verstoßen haben. Und deswegen habe ich da keinen Gewissenskonflikt gehabt, diese Leute festzusetzen und diesen ganzen Komplex dieser RAF-Verbringungen in der DDR auch aufzudecken.«
»Die DDR hatte zehn RAF-Leuten Unterschlupf gewährt und eine neue Identität verpasst«, so Lothar de Maizière. »Die lebten also ausgesprochen kleinbürgerlich irgendwo in Erfurt oder Frankfurt oder irgend so etwas. Diese Tatsache wurde dem Innenminister Peter-Michael Diestel bekannt, und er lieferte diese Leute an die Bundesregierung aus. Ich war damals ziemlich entsetzt über diese Tatsache und habe gesagt: ›Wir haben mit der Bundesregierung kein Rechtshilfeabkommen, kein Auslieferungsabkommen. Du hast im Grunde genommen DDR-Bürger‹, man hatte ihnen ja DDR-Staatsbürgerschaft verliehen, ›ohne Rechtsgrund an eine ausländische Macht ausgeliefert. Das geht einfach rechtspolitisch nicht.‹ Oder rechtstheoretisch, politisch mag es noch angehen.
Gut, es kam dann ein Brief von der RAF, dass alle, die damit befasst wären, zum Tode verurteilt werden. Und namentlich genannt wurden Diestel, Krause und ich, Schäuble und Hans Neusel, sein Innenstaatssekretär. Und diesen Brief habe ich dann erst mal nach Meckenheim geschickt: ›Ihr habt Erfahrung mit der RAF, ist der echt, oder sind das Trittbrettfahrer?‹ Und die signalisierten, das ist absolut echt, wir kennen die Schreibmaschine! Damals schrieb man wohl noch mit Schreibmaschine.
Wenige Tage später wurde auch auf Neusel auf der Autobahn bei Bonn ein Anschlag verübt, der nur deswegen nicht zum Erfolg führte, weil Neusel selbst das Auto fuhr. Neusel ist ein Autonarr, der gern selber fährt, und er saß nicht hinten rechts, wo sonst ein Staatssekretär sitzt, sondern vorne links am Steuer und ist mit ein paar Schrammen davongekommen. Das Auto ist Totalschaden gewesen.
Von dem Tag an sind wir statt mit einem Sicherheitskommando mit zwei Sicherheitskommandos herumgelaufen und durften keinen Schritt mehr ohne Begleitschutz tun. War lästig.«
Am 15. Januar war die Stasi-Zentrale in der Berliner Normannenstraße gestürmt worden – von aufgebrachten Bürgern, wie es offiziell hieß - , um der Aktenvernichtung ein Ende zu machen. Diestel hat eine etwas differenziertere Sicht auf die Ereignisse:
»Ich habe den Sturm auf die Normannenstraße als etwas Revolutionäres, als etwas Urwüchsiges und Gerechtes empfunden damals. Später, als ich dann Verantwortung hatte für das Sicherheitssystem und ich mich mit den Geheimdienstlern, die mich dann umgaben, und mit den Polizeistrukturen beschäftigen musste und wollte, habe ich festgestellt, dass es eine von langer Hand vorbereitete Dramaturgie gegeben hat, um dieses Objekt zu stürmen. Die mir unterstellten Restpersonalbestände der Staatssicherheit haben mir später erläutert, dass sie drei bis vier Wochen vorher schon wussten, dass an dem Tag eine entsprechende Revolte stattfinden würde, dass man sich darauf vorbereitet hat und dass es dann dazu gekommen ist, um den Volkszorn zu kanalisieren.
Es hat sich eine gewisse Unzufriedenheit gegen dieses Ministerium entladen. Und damit ist auch das gelungen, was sich einflussreiche Kräfte aus der alten Zeit vorgenommen haben: ›Wir werden einen Hals zum Fenster raushängen und als Blitzableiter benutzen‹, nämlich die Staatssicherheit.
Man versucht im Grunde, die Geschichte der DDR auf das Wirken, auf die Tätigkeit des MfS zu reduzieren. Das ist falsch, das ist unhistorisch. Wir haben in einem eigentümlichen, wie auch immer gearteten System gelebt, aber es ist geprägt von der SED und weniger von der Staatssicherheit. Diese falsche historische Sicht hat an diesem 15. Januar begonnen.«
Am 7. Juni beschließt die Volkskammer die Einsetzung eines Sonderausschusses zum Thema Staatssicherheit, der sich 14 Tage später konstituiert.
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