Die letzten schönen Tage
fantastisch es sei, am Leben zu
sein, jetzt, in dieser ungefährlichen Zeit, ausgerechnet als Mensch auf die
Welt gekommen zu sein, in Mitteleuropa, wenn man gesund ist und noch relativ
jung und ein wenig intelligent, nicht völlig mittellos. Ich nahm das als
Aufforderung, mehr Lebensfreude auszustrahlen. Hatte ich keine Lust zu. Dabei
hat sie im Grunde recht. Ich bin kein witziger Mensch, Bonmots fallen mir
grundsätzlich erst ein, wenn ich wieder zu Hause bin, ich kann mir keine
Anekdoten merken und Ideen habe ich, wenn überhaupt, dann nur am Schreibtisch,
wenn es still um mich her ist oder leise Musik läuft. Eine Frau, die damit
nicht klarkommt, die vor Freunden gern mit mir angeben möchte, stürzt mich in eine
verzweifelte Situation. Denn ich leide darunter, ihr in diesen Momenten nicht
dienlich sein zu können mit Charme und Esprit und sozialer Intelligenz. Eine
Zeit lang hab ich versucht, mir schöne Aphorismen und gelungene Witze in ein
kleines Büchlein zu schreiben, auch sogenanntes unnützes Wissen und Kuriosa aus
aller Welt, das lernte ich dann auswendig, und wenn sich die Gelegenheit ergab,
streute ich was davon in den Smalltalk. Aber das wirkte kindisch auf mich, ich
möchte auch nicht, daß eine Frau mir was vortäuscht. Ich möchte geliebt werden,
fühle zugleich, wie wenig ich zu bieten habe. Ich kann Kati weder zu einem
Orgasmus noch zum Lachen bringen. Manchmal schaff ichs, daß sie kichert. Warum
gibt sie sich so viel Mühe mit mir? Wo sie so wenig von mir bekommt. Und dann
denke ich, so wenig ist es auch wieder nicht, eine schöne Zeit auf Malta,
meistens bezahle ich für alles, und wenn ich betrunken bin, fallen mir krude
Komplimente für sie ein, eigentlich fallen sie mir aus dem Mund, wie schlechtes
Essen, das der Bauch nicht akzeptiert hat. Jemanden wie Kati hab ich nicht
verdient, und sie hat niemanden wie mich verdient. Es wäre eine Geste echter
Liebe, sie zu verstoßen. Damit sie was Besseres bekommt als mich. Dann wieder
denk ich, naja, sie kann auf so viele stoßen, die schlimmer sind als ich. Der
Notbehelfsgedanke aller Mittelmäßigen. Sie sinkt in meiner Achtung, mit jedem
Tag, an dem sie länger mit mir zusammen ist. Und ich bin froh um jeden jener
Tage, jede Stunde, jede Sekunde ist heilig. Wahrscheinlich will ich nur einfach
nicht alleine sein. Aber das hieße, Kati herabzuwürdigen, als könne sie durch
einen treuen Hund passabel ersetzt werden. Ich liebe sie und hasse mich, und
manchmal hasse ich uns beide. Wird das jemals irgendwer verstehen? Übrigens hat
man uns für den Eintritt in die Kirche pro Kopf sechs Euro abverlangt.
Frechheit.
*
Wir waren in der St. Johns Cathedral, Greta und Ralf konnten mit dem Gebäude nicht arg viel
anfangen, nannten es so lala, ganz nett, ein bißchen überladen, während mich
die farbenfrohen Grabplatten beinah euphorisch stimmten. Ich fühlte mich
leicht, beschwingt, war kurz davor, zu tanzen, doch Serge legte mir einen Arm
auf die Schulter, wie um mich drauf hinzuweisen, wo wir sind. Er störte sich an
meiner Exaltiertheit, völlig zu Recht. Ich bin kein junges Mädchen mehr. In
einem Nebenraum sahen wir uns Caravaggios Enthauptung des heiligen Johannes an, und wie stolz war ich auf Serge, der uns
beiläufig, nicht wie jemand, der protzen möchte, mit Hintergrundwissen übergoß.
Er erklärte uns die revolutionäre Chiaroscuro-Technik des Malers, er wußte
auswendig, wann das Gemälde entstanden war, 1607 nämlich, ich prüfte das im
Katalog gleich nach, es stimmte exakt. Serge erwähnte auch einiges Wissenswerte
über die (homo-)sexuellen Vorlieben des Malers und weswegen es ihn nach Malta
verschlagen hatte, nämlich aufgrund einer Wirtshausrauferei, die mit einem
Toten endete, Caravaggio mußte fliehen aus Rom und fand Zuflucht bei
maltesischen Klosterbrüdern, für die er dieses Gemälde malte. Serge ist ein
wandelndes Lexikon, und ich bemerkte, wie Greta und Ralf sich unwohl zu fühlen
begannen, weil sie, die auf dieser Insel zu Hause sind, sich offensichtlich nie
Gedanken über die Kathedrale gemacht haben. Neben Serge wirken
Durchschnittsmenschen, ich will damit um Gottes willen nichts gegen Greta und
Ralf sagen, so blaß und unbeleckt. Manchmal habe ich Schwierigkeiten damit,
eine überzeugende Antwort zu finden, auf die Frage, warum jemand wie Serge sich
mit jemandem wie mir zufrieden gibt. Ich kann viel von ihm lernen. Was
umgekehrt könnte er von mir je lernen? Wir wollten an den Strand, leider blies
uns ein heftiger Wind ins
Weitere Kostenlose Bücher