Die letzten schönen Tage
Häuser standen dort
und ein Folter-Museum, das das Eintrittsgeld kaum lohnte. Danach saßen wir auf
den Klippen, hatten Brot und Wurst und Käse gekauft, auch ein Glas Essiggurken
und sehr scharfen Senf, haben Picknick gemacht. Das hat mir gefallen, hat mich
an Urlaube meiner Jugend erinnert. An die Zeit, als alle Zukunft vor mir lag,
ein Zauberreich voller Verheißungen. Als man noch glaubte, Talent und Geduld
seien ein unschlagbares Team auf dem Weg zu Reichtum und Ruhm. Wir sahen einen
überfahrenen Igel, ich nahm einen Ast und stocherte in seinen roten Gedärmen,
störte das Festmahl der Fliegen, was Ralf sonderbar fand. Kann ihm doch egal
sein, was soll das? Jemand wie Ralf hat kaum das Recht, mich sonderbar zu
finden, wo er doch recht wenig über mich weiß. Ich nahm Kati beiseite und
schlug vor, ins Hotel zu ziehen. Sie meinte, das sei Quatsch, koste zu viel
Geld, was mich denn stören würde? Und ich wußte nichts zu antworten. Es stört
mich viel, doch ich weiß nicht was, beziehungsweise, ich weiß ganz genau, was,
aber für, sagen wir, normale Menschen zählt das nicht als Argument.
Vielleicht liebe ich Kati wirklich so sehr, wie ich es mir eingeredet habe. Ich
bemühe mich, halte still. Erinnere mich der urältesten Scherze. Für wen, wenn
nicht sie?
12. Januar
Wir unternahmen
vorgestern einen Ausflug nach Mdina, sahen uns das Folter-Museum an, das einen
sehr beklemmenden Eindruck auf mich machte. Immer wieder staune ich, was
Menschen Menschen antun können, sind sie nur von einer Idee beseelt, die sie
ins Recht setzt, über alle Mechanismen des natürlichen Mitgefühls hinweg. Serge
hat viel über Napoleon erzählt, der Malta von der Inquisition befreit hat.
Angeblich. Gab es so spät noch die Inquisition? Das muß ich mal googeln. Später
saßen wir auf den Klippen, sahen aufs Meer und machten uns Brote. Serge wirkte
sehr gelöst und riß Witze, wie hat mich das gefreut. Beim Rückmarsch zur
Busstation entdeckte er einen überfahrenen Igel, fühlte sich zu dem irgendwie
hingezogen, ich kann es anders nicht sagen, er schien ganz verliebt in den
platten Kadaver und voller Forschungsdrang. Ralf hielt sein Mundwerk nicht im
Zaum, ließ irgendeine Bemerkung fallen, auf der Stirn von Serge entstanden Gewitter,
er zog mich beiseite, wir sollten ins Hotel ziehen, schlug er vor. Ich konnte
ihn umstimmen, mit einem Hinweis auf die Kosten, die uns dadurch entstünden.
Die Situation ist gereizt, und ich grüble, weswegen. Abends saßen wir auf der
Terrasse, tranken Wein und spielten Backgammon. Greta und Ralf wollten uns
Unterricht geben, dabei ist das Spiel ganz simpel, ich hatte die Regeln binnen
einer Viertelstunde kapiert und gewann auch gleich die erste Partie, gegen
Ralf, der sich darüber echauffierte, mit etlichem Gestöhn, mimischem Aufwand
und Sprüchen, von denen ich die meisten nicht verstand. Serge, der nur zusehen,
nicht selbst spielen wollte, blaffte Ralf an, ob er nicht wie ein Gentleman
verlieren könne. Ralf verteidigte sich, er habe doch bloß Spaß gemacht. Greta
rettete die Situation, sagte, das gehöre zum Spiel dazu, Backgammon sei im
Endeffekt eine komplexe Variante von Mensch-ärgere-dich-nicht. Und Mensch
ärgert sich halt doch. Wir tranken viel Rotwein, und ich dachte mir nichts
dabei. Erst als um Mitternacht Greta und Ralf zur Arbeit aufbrachen und schon
leicht labil wirkten, kam mir das seltsam vor. Können die ihren Job
angeschickert ausüben?
Was müßt ihr denn da
eigentlich genau machen? Fragte ich. Und sie erklärten mir das. Originalton
Greta: »Die korrekte Berufsbezeichnung ist Sysop , Kurzform von System Operator , und wir sind zuständig für alle nervigen
Kunden, Spackos, Kotzbrocken und gelangweilten Deppen dieser Welt.«
Pokerspieler aus 150 Ländern spielen online bei ihrem Server, und die beiden
sind für die Kundenbetreuung zuständig, hören sich Beschwerden an, schalten
Konten frei oder eben nicht, wenn der Spieler das Limit seiner Kreditkarte
überzogen hat. Meistens müssen einfach nur aufgebrachte Spieler beschwichtigt
werden, weil sie nach einer schwarzen Serie (dem Suckout ) an Betrug
seitens des Servers glauben. Ich fragte, ob ein Betrug denn technisch möglich
wäre, und Greta antwortete etwas ausweichend. Es gebe manchmal sogenannte Collusion -Fälle, heißt, Leute sitzen zusammen am virtuellen
Tisch und zeigen einander ihre Blätter, verbünden sich gegen die Mitspieler.
Karten zu manipulieren sei so gut wie unmöglich. Das Thema schien ihr
unangenehm zu
Weitere Kostenlose Bücher