Die letzten schönen Tage
aber
dann verstand er mich. Ich habe Greta und Ralf gesagt, was mit ihm nicht
stimmt, also, daß mit ihm etwas nicht stimmt, sie reagierten wundervoll,
vielleicht nahmen sie es auch nur auf die leichte Schulter. Die beiden sind
keine sehr ernsthaften Menschen, spielen Poker, arbeiten für einen
Onlinepokerserver, im Grunde sind sie Kinder Mitte dreißig, die sich hier eine
lustvolle Existenz aufgebaut, Hobby und Beruf verbunden haben. Sie vögeln ein
wenig laut, meistens am Nachmittag, aber deswegen kann ich sicher nicht zu
ihnen hingehen und sagen, laßt das mal. Wir waren essen im Tarragon in St.
Pauls Bay, und Serge lud uns alle ein, nachdem ich ihm einen kleinen Hinweis
gegeben hatte. Er tat etwas empört, zum Spaß, so in etwa, wie er das finden
soll, daß ich ihn darauf extra hinweisen würde, das verstehe sich doch von selbst.
Nachts schläft er unruhig, und manchmal gar nicht, dann steht er auf, geht zum
Fenster, um eine zu rauchen, womit er wieder angefangen hat, weil Greta und
Ralf rauchen. Bitte sehr, wenn es ihn beruhigt. Nur einmal gab es eine kleine
Szene, den Anflug einer Szene, als Ralf nämlich erwähnte, daß die alten gelben
Busse bald abgeschafft werden. Da bemerkte ich einen kurzen Anfall von Wut und
Ekel in Serges Mimik, beinahe wie bei einem zornigen Buben. Aber er drehte sich
weg und sagte nichts. Tagsüber machen wir lange Spaziergänge, so ab zehn, wenn
Greta und Ralf noch schlafen. Gegen eins dann stoßen sie zu uns, sind wirklich
perfekte Gastgeber, haben Freude daran, uns die schönsten Stellen der Insel zu
zeigen. Gestern Abend wollten sie in eins der Casinos und luden uns ein, sie zu
begleiten. Serge wollte nicht, er sagte, er verstehe davon nichts. Ich verstehe
davon ja auch nichts, aber man kann sich ja mal was Neues gönnen, bevor man es
ablehnt. Das hab ich ihm so gesagt, und er: Geh nur, geh nur, ich kann mich
auch mal einen Abend mit mir selbst beschäftigen. Wirklich? Jaja. Na gut.
Vielleicht brauchte er seine Ruhe, ich ging also mit Greta und Ralf ins
Dragonara, das ist das größte Spielcasino, auf einer Landzunge in St. Julians
gelegen und schwefelgelb bestrahlt in der Nacht. Die beiden setzten sich an
einen Pokertisch, damit machen die ein gutes Drittel ihres Einkommens, ich
wußte gar nicht, daß sie in der Szene so etwas wie Koryphäen sind. Während sie
spielten, sah ich etwa eine Stunde zu, und Greta flüsterte mir dauernd was ins
Ohr, versuchte mir die Regeln zu erklären, sah dann aber irgendwann ein, daß
das so en passant nicht funktioniert. Ich fing an, im Casino herumzuspazieren.
Das Dragonara, erzählte Greta, sei noch vor wenigen Jahren ein stilvoll morbides,
leicht heruntergekommenes Casino gewesen, das in jüngster Vergangenheit
kaputtrenoviert worden sei, das allen Charme, alle Patina verloren habe und
dennoch – oder gerade deswegen – seither ungeahnten Zulauf erhalte. Als hätten
die Architekten den Geschmack des Proll-Publikums getroffen. Alles sei nun viel
zu hell, zu steril, zu geschniegelt. Wo vorher Gelb, Gold und rötliche Farben
dominierten, sei es nun das Dunkelblau der Sessel, das Grau des Teppichbodens
und das Plastik-Weiß der mit Videokameras gespickten, tiefergelegten Decke. Ich
kann mich dieser Meinung nur anschließen. Links und rechts der Eingangstür
standen zwei alberne, ja peinliche pseudoägyptische Statuen. Es wurde ein Foto
von mir gemacht, und ich bekam eine Players-Card , der Form nach einer Kreditkarte ähnlich und
zehn Jahre gültig. Jeder Gewinn muß auf der Players-Card abgespeichert werden,
bevor man damit zum Cashier geht. Der Bank ist es so möglich, das
Spielverhalten ihrer Kunden bis ins Detail nachzuverfolgen. Ob Serge sich hier
wohlgefühlt hätte?
Den überbelichteten Spielsaal
umstellen Marmorsäulen primitiver Machart, die man eher im Wellnessbereich
eines stillosen Hotels erwarten würde. In den Seitensälen gibt es viele
einarmige Banditen, aber ohne die charakteristischen Hebel. Eigentlich armlose
Banditen, die nur noch auf Knopfdruck funktionieren. Es gibt auch zwei
abgetrennte Raucher-Bereiche. Auf etlichen Bildschirmen im Gebäude liefen
Fußballspiele der italienischen Seria A.
Ich schmiss ein bißchen
Kleingeld in die Banditen und gewann, ohne daß ich wüßte warum, zwanzig Euro,
damit ging ich an die Bar und leistete mir einen Cocktail, einen
Erdbeer-Daiquiri. Die Bar war schön, besonders die wuchtige Kassettendecke,
deren Intarsienmalereien der Rauch der Jahrzehnte beinahe unkenntlich gemacht
hat. Hier
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